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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Der ästhetische Standpunkt Richard Wagner´s und seines dramatisch-musikalischen Kunstwerkes [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0175

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Der ästhetische Standpunkt Richard Wagner’s
und
seines nationalen dramatisch - musikalischen Kunstwerks.
(Fortsetzung.)
Bevor wir dem Wagner’schen Kunstwerke näher treten, und seinen
ästhetischen Standpunkt zu begründen suchen, müssen wrir noch einmal mit
schnellem Ueberblick die charakteristischen Erscheinungen seit der Zeit
Gluck-Mo zart betrachten, in soweit solches Bezug hat auf die Fortent-
wickelung des musikalisch-dramatischen Kunstwerks. Gluck, wie Mozart
hatten die Oper in Form und Inhalt von den Italienern übernommen, sie
arbeiteten nach italienischem Libretto und bedienten sich auch des italieni-
schen Styls. Als vorzüglichstes, ja fast einziges musikalisches Ausdrucks-
mittel galt den Italienern die Melodie mit leichtfasslichem Rhythmus, Har-
monie und Modulation standen auf sehr niedriger Stufe der Ausbildung,
Alles hatte eine bestimmte Schablone. Das leichtlebige Volk der damaligen
Zeit stellte auch nicht die geringsten Anforderungen an Charakteristik und
Wahrheit in der musikalischen Wiedergabe des Wortes und der Situation.
Dass nun so genial begabte Künstler wie Gluck und Mozart schon da-
durch diesen Styl veredelten, dass sie den Zauber ihrer Individualität hin-
eingegossen in die allgemein beliebte Form, das erhöhte den musikalischen
Werth der damaligen Oper wohl, doch nicht den ästhetischen. Mozarts
Genius erkannte bald, dass in der Harmonie und Polyphonie zwei viel wich-
tigere Factoren für die Wahrheit des Ausdrucks und die Wiedergabe der
Empfindungen gegeben seien, als in der Melodie als einzigen Ausdrucks-
mittels, und so erreichte er es, der Oper gegenüber auf einen vollkommen
ästhetisch-musikalischen Standpunkt zu gelangen. Gluck’s gewaltige refor-
matorische Bestrebungen hatten ihn schon früher auf diesen Standpunkt ge-
stellt; jedoch gebührte nicht der Heimath das Verdienst, sein Streben ge-
fördert zu haben, da ihm Paris die ersten Lorbeeren reichte. Er verwarf
vollständig den italienischen Styl, und indem er Wahrheit der musikalischen
Empfindung in die knappste Form legte, schuf er das erste nationale deutsche
Kunstwerk.
Nachdem Schubert im deutschen Liede das Ton-Empfinden seinerzeit
verewigt hatte, als er der neu erwachten Lyrik, der zarten Liebespoesie, und
dem Weltschmerz seine reiche Sprache lieh, war es auf dem Gebiete der
Oper erst Weber, welcher uns zeigte, wie entwickelungsfähig dieses Kunst-
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