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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Der ästhetische Standpunkt Richard Wagner´s und seines nationalen dramatisch-musikalischen Kunstwerks [1]
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Die Entwicklung der Symphonie [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0135

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keilen besitzt, das Kunstwerk zu verstehen., nicht immer zu dei’ wohlsituirten
Klasse gehört, die jederzeit im Stande ist, ein Billet zu bezahlen.
Dieser Uebelstand führt das Missverhältniss herbei, dass mitunter viele
Hunderte anständig gekleideter Menschen einem Kunstwerk von hohem ästhe-
tischen Werthe gegenüber sitzen ohne eine andere Berechtigung, als dass
sie bezahlt haben.
Die Folge ist eine Enttäuschung (wenn es ihnen überhaupt um Verständ-
niss zu thun ist), es fehlt an jedem Anhaltpunkte, um sich des Stoffes zu be-
mächtigen, und selbst gebildete und sonst ganz rationell denkende Menschen
begehen die Ungerechtigkeit, ihren Missmuth an dem Kunstwerk auszulassen,
anstatt den Felder in sich selber zu suchen. Da hört man die abgeschmack-
testen Urtheile, bei denen es immer darauf hinausgeht, dass keine „Melodien“
und zu viel „Spektakel“ in der Opei' vorkämen, zu „grosse Längen“ und zu
viel „Dissonanzen“. Die Mehrzahl der Unzufriedenen aber weiss gar nicht,
was sie gesehen und gehört hat. Wenn sie sich vorher das Buch der Oper
wenigstens genau durchgelesen hätten, um darauf vorbereitet zu sein, um was
es sich handle, aber auch das geschieht nicht einmal — man bezahlt ja seinen
theuren Platz, warum sich also die Mühe nehmen, sich einer geistigen Anstren-
gung vorher zu unterwerfen, — man wird ja sehen und hören.
(Fortsetzung folgt.)

Die Entwickelung der Symphonie.
i.
Was eine Symphonie ist, das weiss so ziemlich Jedermann, denn es wird
ihm vielfach Gelegenheit geboten, ein solch musikalisches Kunstwerk zu hören.
Dennoch ist es bis jetzt nicht gelungen, den Begriff der Symphonie erschö-
pfend wissenschaftlich festzustellen. Sie gehört dem Reiche der reinen Musik,
der Instrumentalmusik an, gehört zu denjenigen Kunstformen, welche die
Musik als sich selbst genügend, losgelöst von allen anderen Künsten, losge-
löst namentlich von der Schwesterkunst der Poesie, erscheinen lassen.
Zugegeben, dass Niemand zu deuten vermag, was die reine Musik aus-
sprechen will — und es doch Jeder vermag, aber nur zweifelvoll, weil ein
Instrumentalstück gar viele Deutungen zulasse. Zugegeben ferner, dass sie
einem ledigen Weibe zu vergleichen sei, dass sie bezaubern und fesseln könne
und dennoch das Höchste nicht sei. Es ist ja wahr, dass durch die Verbin-
dung der Tonkunst mit ihrei' Schwester Poesie Höheres erreicht werden kann.
Es muss aber ebenso unbedingt zugegeben werden, dass die Tonkunst an
sich einzig nur in der Instrumentalmusik die höchste Stufe der Entwickelung
erreicht hat und erreichen kann.
Wer Musik in ihrem innersten Wesen kennen lernen will, der kann dies
nur an der Instrumentalmusik erfassen. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob
dies innerste Wesen in Worte, die dessen Begriff klarstellen, gefasst werden
kann oder nicht, ob die Hörer Gleiches oder Verschiedenes dabei fühlen.
Das Reich der Tonkunst ist das Reich der inneren Unendlichkeit, die Be-
wegungen der Seele an sich sind ihr Inhalt. Darum ist sie die subjectivste
aller Künste und die reine Musik der entsprechendste Ausdruck für den Ge-
fühlsaufschwung des Individuums.
 
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