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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Ein Wagner´sches Kunstwerk und die Kritik
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Die Berliner Bau-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0350

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416

Auf dieses Sterben war das bewusstseinumdunkelnde Sehnen Isoldens ge-
richtet. Sie schwelgt in diesem Sterben mit Tristan. Der Ritter ist da-
hin — die Königstochter ist dahin: zwei Menschen (herausgerissen aus
Zeit- und Standesschranken, erlösst aus conventionellen Fesseln) haben sich
gewonnen. —
Das ist die Wirkung des Trankes, eine rein psychologische, wohlbe-
begründete. Nicht der Liebestrank hat gewirkt, sondern der Todestrank.
Die Substanz kommt nicht in Betracht. —
Die Schranken sind gefallen und können nicht wieder aufgerichtet
werden. Das sich gewonnene Paar kann durch keine Macht der Erde
wieder getrennt werden. Die Liebenden leben fort, nicht mehr im Wider-
spruch mit sich selbst, aber im Widerspruch mit dem Leben, der Wirk-
lichkeit. Der Schwerpunkt des Conflictes hat sich zwar verschoben, aber
der Conflict ist noch da, aufreibend, den Untergang herbeiführend.“ —

Die Berliner Bau-Ausstellung.
(Schluss.)
Wir haben zu der Skizze, die wir in der vorigen Nummer von den künstleri-
schen Leistungen der bei der Architektur betheiligten Handwerke und Industrie-
zweige zu entwerfen versuchten, in unserer heutigen Besprechung noch einige Striche
hinzuzufügen. Es liegt auf der Hand, dass wir hierbei nur noch einige wenige Er-
zeugnisse, die in der Ausstellung unsere Aufmerksamkeit erregten, berücksichtigen
können.
Wir beginnen mit der Kunsttischlerei resp. mit der Bautischlerei.
Dieses Handwerk, dessen Uranfänge mit den Anfängen menschlicher Cultur über-
haupt zusammenfallen, hat zu allen Zeiten von Bauherren und Baukünstlern eine
hervorragende Beachtung erfahren und an der künstlerischen Ausstattung der Bau-
werke jederzeit einen wesentlichen Antheil gehabt. Hieraus begreift sich aber auch,
dass die Erzeugnisse der Kunst- und Bautischlerei, indem dieselbe Hand in Hand
ging mit der Entwickelung der Kunst im Allgemeinen, aller Vorzüge und aller
Fehler und Schwächen der jeweiligen Perioden der Kunstentwickelung theilhaftig
war und ist. So tragen denn auch die in der Bau-Ausstellung zur Ansicht ge-
stellten Erzeugnisse dieses Handwerks, soweit ihr rein künstlerischer Werth in Be-
tracht kommt, alle Zeichen unserer Zeit, oder ich will lieber sagen, des Kunstge-
schmacks unserer Zeit. Weil derselbe im Grossen und Ganzen in der heutigen Zeit
vielleicht mehr verwirrt ist, als jemals, weil namentlich unserem heutigen Publicum
bei der Beurtheilung der weniger durch Pracht und Luxus in die Augen fallenden
Erzeugnisse gewisser Handwerke fast jeder Geschmack abgeht, lässt sich auch der
einzelne Meister leicht verleiten, die Bahnen, welche ihm sein reinerer und besserer
Geschmack vorzeichnet, zu verlassen und in nothwendiger Berücksichtigung der
Launen seines Publicums Schöpfungen ins Leben zu rufen, welche vor der Kritik
nicht eben glänzend bestehen. Wir zweifeln nicht einen Augenblick daran, dass
das Handwerk der modernen Kunsttischlerei unter seinen Vertretern Männer zählt,
denen ihr geläuterter Geschmack und Kunstsinn unbedingt eine Stelle unter den
Meistern der Kunst anweist, und wenn in dieser Hinsicht noch Zweifel zu besei-
tigen wären, so würde das durch eine Reihe von hervorragenden Leistungen auf
diesem Gebiete geschehen sein; — indessen die Thatsache ist nicht zu läugnen,
dass die künstlerische Entwickelung der modernen Tischlerei ebenso wenig eine
einheitliche ist, ebenso wenig von einem leitenden Gedanken beherrscht wird und
einem bestimmten Ideale zustrebt, wie fast jeder andere Zweig unserer heutigen
Kunst, der eben auch ein entschieden ausgeprägter Charakter fehlt.
 
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