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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Ursprung der Siegfriedsage und die verschiedenen Bearbeitungen derselben in der alten, mittleren und neuen Literatur [2]
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Die Entwicklung der Symphonie [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0270

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264

Als das Auge der Welt seine Wimpern aufschlug,
Die rosigen Wolken dos östlichen Randes,
Da sass schon Siegfried im fichtenen Sessel.
Der mächtige Holzstoss war herrlich behangen,
Mit fürstlichem Schmuck und Waffengeschmeide,
Da strahlte sein Helm, sein vergoldeter Harnisch,
Der gebuckelte Schild und der scharfe Bahnung.
Die Fackel flog in den dornengeflochtnen
Umschliessenden Zaun, und rasch entzündet
Leckte gen Himmel die lodernde Lohe.
Dann, ehe nur einer die Absicht ahnte,
Mit gewaltigem Sprung durch die sprühende Flamme,
Sass sie (Brünhild) im Sattel Granis und setzte
In die Höhe mit ihm auf den breiten Holzstoss.
Da sticht sie dem Hengst ihren Stahl bis in’s Herz
Und während er stirbt mit stolzem Gewieher,
Bohrt sie den Balmung in ihren Busen,
Drückt auf die Lippen des endlos Geliebten
Den verspäteten Kuss der gesühnten Walküre,
Und ruft noch im Sterben mit lauter Stimme:
Nun sind wir, o Siegfried, beisammen auf ewig.
(Schluss folgt.)

Die Entwickelung der Symphonie.
IV.
Wohl nahm sich Beethoven bei seinem Eintritte in die Arena des mu-
sikalischen Schaffens den genialen Wolfgang Amadeus zum Vorbilde, wohl
hat er Zeit seines Lebens seine beiden grossen Vorgänger hoch in Ehren
gehalten, aber schon in seiner ersten Symphonie zeigte er sich als der junge
Riese, welcher den von Mozart geschaffenen Orchesterkörper mit Titanen-
hand ergriff. Mit ihm trat die Macht des subjectiven Ich in die Instrumen-
talmusik. Sein gewaltiges Genie, das Mass ungewöhnlicher Künstlergrösse
noch überragend, fand in der vieltönigen Sprache des Orchesters den voll-
endeten, Alles sagenden Ausdruck der grossen Ideen und Gedanken, die sein
Inneres durchflutheten. Und dieses unendliche Meer musste naturgemäss auch
die Grenzen des bisherigen Ausdruckvermögens überfluthen.
Es ist bekannt, dass ein halbes Menschenälter dazu gehörte, um ver-
stehen zu lernen, dass in Beethoven ein den grösten Geistern der Nation
ebenbürtiges Genie gelebt hat, dessen ganzes Leben im Reiche der Tonkunst
vollständig aufging, welches nur in Tönen seinen grossen Gedanken auszu-
sprechen vermochte. Es ist bekannt, wie das Publicum seinen Werken förm-
lich „verblüfft“ gegenüberstand, in den sich in- und auseinander entwickeln-
den Ideenverbindungen nichts als verworrene Tonmassen zu erblicken ver-
mochte. Es ist bekannt, wie kurzsichtige Kritiker das Feuer weidlich schür-
ten und sich einbildeten, mit ihrer geifernden Feder einen musikalischen
Herostrat unschädlich machen zu müssen, der nichts könne, als den Tempel
 
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