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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Berichte von Nah und Fern
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Vom Tanzen [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0074

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68

Die hervorragendste Novität, welche uns auf dem Gebiete des Dramatischen geboten
ward, war Faust 2. Theil, inscenirt von Wollheim mit der Musik des kürzlich hier ver-
storbenen Tonsetzers Pierson. Die Beurthcilungen gingen nach allen Windrichtungen
hinaus, indess muss man dem Werke manches Schöne, manches dramatisch Gelungene zu-
gestehen. — Pombal von Julius Wörther, in der Woche in Scene gesetzt, in welcher der
Papst in Rom das kaiserliche Schreiben empfing, hatte sicli eines reichen Beifalls zu
erfreuen. Ein todtgebornes Kind war „Sturmfluth“ Dramolet in 1 Act von Robert Wald-
müller, die ungleich länger gerathene Zwillingsschwester dieser Missgeburt trägt den
Namen „Madame Bonnard“ Schauspiel in 5 Acten von Willibald Wulff. Lustspiel-Novi-
täten hatten äusser Schweitzer’s „Epidemisch“ und „Die einzige Tochter“ nach dem
Russischen kein Glück. Puttlitz’s Dr. Raimond sprach nicht an, „Offne Hand“ (Verfasser
unbekannt) ging klanglos zum Orkus hinab. Sobald wir auf dem Laufenden sind, wird
auch eine nähere Besprechung der Stücke selbst erfolgen.

. Vom Tanzen.
(Fortsetzung.)
Die gute, alte Zeit! Das interessante Mittelalter! -Unsere Romantiker haben es uns
so herrlich ausgemalt und die Farben stark genug aufgetragen. Da sind prächtige deutsche
Wälder mit stillen Klausnerhütten und Einsiedlerglöckchen, düstere Höhlen, in denen
fromme Eremiten hausen, meistens Ritter a. D. oder sonstige Sprösslinge blaublütiger
Geschlechter, auf ragenden Bergen stolze Burgen mit glänzenden Sälen, in denen allerlei
Zweck-, Fest- und sonstige Fractions-Essen arrangirt werden und süsse Lieder von himm-
lischer Minne erschallen. Ist kein vom Thurmwart angeblasener Gast da, so sitzt der
Burgherr oder Hauswirth wenigstens allein beim Humpen, und der verführerische Refrain
lautet: Und er hub ihn uf und drunk! Da sind sentimentale Balladenkönige, welche dem
sanften und kecken Edelknaben die erröthende Tochter trotz aller Mesalliance zur Gattin
versprechen, wenn er zum zweiten Male aus der meerfeuchten Oharybdis den goldenen
Becher holen will, blinde Herrscher, die am Meeresstrande die vom Räuber entführte
Prinzessin Tochter wieder fordern, und das Burgfräulein steht auf dem Altan, der „in
keiner geordneten Burgwirthschaft“ fehlen darf, und schaut den Rhein hinauf oder die
Elbe hinunter, ob nicht der Geliebte in der Schwanengondel herankommt. Sie stickt keine
Morgenschuhe nach türkischem Muster für den Papa, sondern Feldbinden für den Geliebten.
Alles sehr schön, sehr poetisch. Aber warum singen uns die Herren Romantiker nicht auch
die prosaische Thatsache, dass Armgard ihres Vaters Wamms flickte, Kunigunde saure
Milch abrahmte und Gunilde am Spinnrade sass? Das duftige Mittelalter war in den Er-
scheinungen seines höfischen, wie bürgerlichen Lebens ziemlich derb, ja häufig roh, und
zumal beim Tanzen ging es, absonderlich in den Städten, drunter und drüber. Das schon
erwähnte „Umbwerfen“ der Tänzerin spielte eine Hauptrolle; es bestand darin, dass der
Tänzer seine Tänzerin zu Boden warf und zwar in einer Stellung, die auch nicht im aller-
mindesten salonfähig war und jeden Dragonerlieutenant, Assessor oder Doctor in der
Gesellschaft unmöglich machen würde. In der Beschränkung zeigt sich zwar der Meister,
wie ein geflügeltes Wort sagt, aber die Kleidung der Tänzer war oft sogar in dem Maasse
sparsam, dass sich hochwohlweise Obrigkeit der gekränkten Garderobe annehmen und,
wenn auch nicht den Frack, dieses genialste aller jemals einem verwegenen Schneider-
gehirn entsprungener Kleidungsstücke, so doch etwas vollständigere Gewandung gebieten
musste.
Besonders arg ging es hinsichtlich des Tanzes in den Badeorten zu, deren es schon
im Mittelalter genug gab.
Sie wissen, verehrte Leserin, was ein Badeort ist, denn Sie kennen Ems, Wiesbaden,
Homburg; Sie wissen, lieber Leser, dass man in das Bad reist aus verschiedenen Gründen,
nämlich erstens, um sich von den Diner- und Tanzstrapazen des Winters, von Opern,
Schauspielen und Concerten zu erholen, zweitens um zu schauen, wie sich das dolce far
niente in der Fremde aushalten lässt, drittens um elegante Toiletten zu sehen und zu
zeigen, viertens um im Bade gewesen zu sein. Einige Leute endlich reisen auch in’s Bad,
um dort ihren Körper in’s Wasser zu legen oder allerlei abscheulich schmeckendes Ge-
tränk zu trinken.
Das war nun schon in alten Zeiten so, und manche Orte, wie z. B. Baden im Aargau,
waren bereits im Mittelalter hoch berühmt. Mit Ausschluss der Gründer und Verwaltungs-
räthe, die damals noch nicht einmal aus Prospecten bekannt waren, fanden sich dort alle
Stände zusammen, Helden und solche, die sich dafür hielten oder es werden wollten, Di-
plomaten, die „ein wenig mehr Licht“ über die Lage Europa’s geben zu können meinten,
 
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