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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Berichte von Nah und Fern
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0328

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322

Berichte von Nah und Fern.
Leipzig, Ende Juli.
„Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen?“ wäre
man versucht mit Schiller angesichts der vielen Gastspiele im Verlaufe des Monats aus-
zurufen, hätte die Erfahrung nicht gelehrt, dass fortwährend stattfindende Gastspiele für
den wahren Theaterfreund gerade das Gegentheil von Festen bedeuten.
Herr William Müller vom königlichen Hoftheater zu Hannover begann sein auf
Engagement abzielendes Gastspiel mit „Lohengrin“. Reine, volle und umfangreiche Stimme,
charakteristisch durchdachtes Spiel führten den Gast vortheilhaft ein. Sein „Tanhäuser“
schloss sich dem „Lohengrin“ würdig an, nur die Erzählung der Pilgerreise nach Rom
im letzten Acte, das „schweigt mir von Rom“ war allzu forcirt und gemacht, so dass es
den Anschein hatte, als wollte der Künstler der draussen auf dem politischen Markte sich
abspielenden Tagesfrage seine Zustimmung bezeugen. Der „Raoul“ in den „Hugenotten“
blieb einigermassen hinter den Leistungen des Gastes in den Wagnerschen Helden-
Partien zurück. Mit Beginn des künftigen Jahres gehört Herr Müller dem hiesigen Opern-
Personale an. Frau Friedrich-Materna von k. k. Hofoperntheater zu Wien sang die
„Elisabeth“ in „Tanhäuser“ und die „Valentine“ in den „Hugenotten“, die „Selica“ in der
„Afrikanerin“ und die „Leonore“ in „Fidelio“. Nicht zu unterschätzende Stimmmittel,
dramatisch belebtes Spiel liessen die Leistungen der Dame als höchst achtungswerthe er-
scheinen. Die ideal angelegten Wagner’sehen Frauenfiguren, die rein weibliche „Leonore“,
sind indess bei unserer heimischen Kraft, Fräulein Mahlknecht, in bewährteren Händen.
Als Leonore im „Troubadour“ und „Martha“ hörten wir Frl. von Teree, und muss das
in einer der früheren Nummern gefällte günstige Urtheil hier bestätigt werden; einen we-
niger günstigen Eindruck hinterliess ihre „Margarethe von Valois“ in den „Hugenotten“.
Das kürzlich engagirte Frl. Rosenfeld sang in „Tanhäuser“ die musikalisch schwierige und
undankbar liegende Partie der „Venus“, für die Untreue des „Tanhäuser“ ward sie durch
den Beifall des Publicums reichlich entschädigt. Herr Stolzenberg vom grossherzoglichen
Hoftheater zu Karlsruhe gefiel als „Lyonei“.
Als „Johanna“ in der Schiller’schen „Jungfrau von Orleans“ verabschiedete sich
Frl. Haverland vor ihrem Abgänge nach Dresden von hiesiger Bühne. Die fast feierlich
zu nennende Entlassung Seitens des Publicums wird der Künstlerin wohl Entgelt für manch
herbes Wort der Kritik, welche sie heranzubilden geholfen hat, gewesen sein. Von der
Aufführung des Repertoir-Schauspiels „Wilhelm Teil“ haben wir diesmal nur zu berichten,
dass Frl. Ernest, eine Schülerin der Deutschinger’schen Theaterschule, die „Armgard“ mit
dramatischem Feuer durchführte. HerrSontag, vom königlichen Hoftheater zu Hannover, gab
einen Cyclus interessanter Gastrollen. Vor allen Dingen ist es die Vielseitigkeit des Dar-
stellers, welche Bewunderung erregen muss. Wir sehen ihn als „Graf Waldemar“ im
gleichnamigen Freytag’schen Schauspiel, als „Bolz“ in den „Journalisten“, als „Moliere“
im „Urbild des Tartüffe“, als „Penn“ in „Donna Diana“, als „Doctor Wespe“, als „Pro-
fessor Laurentius“ in Lindau’s „Maria und Magdalena“, und jeder der so verschieden lie-
genden Rollen ward ihr Recht. Unter der Partie des „Grafen Waldemar“ hat jeder Dar-
steller zu leiden, der den Freytag’schen Helden aufgebürdete Zug des Abenteuerlichen
haftet am Helden des benannten Stückes ebenso, wie an dem des „Valentins“; in beiden
Stücken sind die Diener ausgefeimte Spitzbuben, deren ehrliche Haut ihren Herren zur
Genüge bekannt ist, ohne dass diese sich deshalb beunruhigt fühlen. Sympathischer be-
rührt allerdings der „Bolz“, zumal wenn er so jovial wie von Herrn Sontag gegeben wird,
und seine Collegin von Hannover, Frl. Ellmenreich, ihm als „Adelheid Runeck“ zur Seite
steht. Hingegen ist der Mitarbeiter „Schmock“ eine Carricatur, deren sich gewiss keine
Redaction der Welt bedienen wird. Der natürlichste, lebensgetreuste Charakter der Frey-
tag’schen Stücke ist überhaupt der Weinhändler „Piepenbrink“, von Herrn Engelhardt als
köstliches Prototyp eines kannegiessernden Localpolitikers dargestellt. Fräulein Ellmen-
reich gab noch die „Maria“ in „Maria und Magdalena“ und zeichnete sich durch fein-
durchdachtes pointirtes Spiel aus. Selten vereint eine hochbegabte Schauspielerin das
angeborene Talent mit solch feinem Geschmack. Vom Stücke selbst mögen die Urtheile
auseinandergehen, die Charakterisirung des Theateragenten Schelman ist eine lebenswahre,
der Wurm im Kunstleben ist zum Erkennen gezeichnet. Frl. Borry vom kaiserl. concessio-
nirten Theater zu Strassburg im Elsass spielte in „Graf Waldemar“ die „Fürstin Udaschkin“
und im „Urbild des Tartüffe“ die „Armande“, ohne irgend welchen Erfolg zu erzielen.
 
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