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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Der ästhetische Standpunkt Richard Wagner´s und seines dramatisch-musikalischen Kunstwerkes [2]
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Die Entwickelung der Symphonie [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0180

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freiere, lichtere Höhen; welcher Aesthetiker wagt es, einen Stein auf ihn zu
werfen?
Einen grossen Theil der Schuld an diesen Anfeindungen tragen die
Schwärmer und Enthusiasten, die sich Wagner’s Freunde nennen, ohne ihn
verdaut zu haben. „Gott «beschütze mich vor meinen Freunden, mit meinen
Feinden werde ich schon selbst fertig.“ Enthusiasmus und Schwärmerei
haben die Sache der Kunst noch nie gefördert, sondern derselben oft mehr
Schaden gethan, als die Polemik; sie brachten auch hier Anschauungen und
Urtheile zum Vorschein, welche geradezu lächerlich waren. Da sie ihren
individuellen Standpunkt zu dem Wagner’s machten, wurden sie auch von
demjenigen Theile des Publicums, der der Sache ferner steht, mit Wagner
identificirt, und dieser Umstand richtete natürlich viel Schaden an. Erst
nachdem Wagner’s gesammelte Schriften im Druck erschienen, war dem
grösseren Publicum Gelegenheit gegeben, ihn selbst wieder von der Partei
der Enthusiasten zu sondern. Das Gebahren dieser Secte, welche zum grossen
Theil sich aus der Schaar der Klavier-Virtuosen rekrutirte, also aus Kunst-
Handwerkern, die keine andere Berechtigung zur Kunst, als ihre Fingerfertig-
keit haben, aber auch bedeutende Zungenfertigkeit entwickelte, gefiel sich in
ihrer ästhetischen Unwissenheit darin, ein Banner für Wagner zu schwingen,
mit dem sie alles Andere nieder schlugen. Mozart, Beethoven war ihnen
ein „überwundener Standpunkt“, und „Zukunftsmusik“ ihr Feldgeschrei.
Diese Secte hat wohl am meisten dazu beigetragen, dass der Vorwurf der
„Arroganz“ auf den Meister geschleudert wurde, der ihnen selbst gebührte.
Das unglückselige Wort „Zukunftsmusik“ (von wem mag es herstammen?)
wurde der grosse Stein des Anstosses, und wurde dadurch, dass es missver-
standen, auch zu einer Waffe gegen Wagner, der nie Zukunftsmusik ge-
schrieben hat, sondern als Musiker vollständig auf der Höhe der Kunst-Ent-
wickelung seiner Zeit stand, einer Kunst-Entwickelung, die er selbst that-
kräftig förderte. Möge seine Musik, die Musik der Gegenwart, einmal
Zukunftsmusik werden und bleiben, und sich im Geiste seines Strebens immer
mehr fortentwickeln; in diesem Sinne mag sie Zukunftsmusik sein!

Die Entwickelung der Symphonie.
ii.
Blicken wir noch einmal auf Claudio Monteverde zurück. Er nimmt in
der Musikgeschichte die Stellung eines bahnbrechenden Genie’s ein, eines
Mannes, der Neuerungen einführte, welche vor ihm Niemand gewagt hatte,
die ihm freilich den Hass und Zorn der Zunft eintrugen, bei allen freier
Denkenden aber mit Enthusiasmus begrüsst wurden. Er erinnert in vielen
Beziehungen an Richard Wagner. Ihm ging die Wahrheit der Darstellung
über Alles, und unablässig sann er darüber nach, wie er den musikalischen
Ausdruck demgemäss gestalten könnte. Abgesehen davon, dass ei' die be-
gleitenden Instrumente selbständiger gestaltete, aber in feste Formen schlug
und der Willkür der Begleitenden einen Riegel vorschob, schuf er selb-
ständige instrumentale Vor- und Zwischenspiele. Eines sowohl wie das Andere
waren kurze Sätze, welche durch bewegte Klangbilder und entsprechend
charakteristische Färbung der dramatischen Wirkung zu Hülfe kommen
 
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