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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Vom Tanzen [5]
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Berichte von Nah und Fern
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0211

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der Herr den rechten Arm seiner Tänzerin, um sie über ihrer rechten Hüfte an sich zu
drücken, und hielt sie mit seiner rechten Hand unten am Corsett-Blankscheit, um ihr daran
beim Springen zu helfen. Die Dame legte ihre Rechte entweder auf den Rücken oder
auf den grossen Halskragen ihres Herrn, nahm ihn also im vollsten Sinne des Wortes
beim Kragen, „und“, fügt ein alter Tanzlehrer hinzu, „kluge Mädchen werden gut thun,
ihren Rock oder ihr Kleid mit der linken Hand zu halten, damit der Wind sich nicht darin
verfange und sie auf diese Weise in Verlegenheit kommen, die Zuschauer von der Farbe
ihres Strumpfes in Kenntniss zu setzen“; und allerdings trugen die Damen kurze Kleider,
damit man sehen konnte, ob sie auch den Tanzschritt hielten. Trotz aller Bedenken aber
war die Volte selbst an den Höfen beliebt und besonders „König Henri quatre“, der be-
kanntlich jedem französischen Bauer zumuthete, Sonntags Hühnersuppe zu essen, war von
ihr ganz entzückt; nicht minder freilich auch Englands jungfräuliche Königin Elisabeth,
die besonders auf die erwähnten kurzen Kleider sah und deren Cavaliere die Tänzer von
Profession nachahmen mussten. „Die Franzosen“, heisst es in einer Schilderung der
Tänze um 1671, „erfinden alle Jahr neue Tänze auf sondere Manier, obgleich sie selbst
ihre eigenen Tänze oft nicht tanzen können“ — und diese Tänze gingen dann schnell
nach Deutschland über, nicht selten zum grossen Aerger der Moralisten. So sagt Johann
Prätorius in seinem Buche „Blockes-Bergen-Verrichtung oder Bericht von dem ßlockes-
Berge (Brocken), Leipzig 1668,“ die Volte sei von Sr. höllischen Majestät selber erfunden.
Von der neuen Gaillardischen Volta, einem welschen Tanze, wo man . . . wie ein getrie-
bener Topf herumhaspelt und wirbelt, und welcher durch die Zauberer aus Italien und
Frankreich ist gebracht worden, mag man auch wohl sagen, dass zudem, dass solcher
Wirbeltanz voller schändlicher unflätiger Geberden und unzüchtiger Bewegungen ist, er
auch das Unglück trage, dass unzählig viele Morde . . . daraus entstehen.“ Eine gute
Polizei, meint Prätorius weiter, sollte deshalb diesen Tanz auf das Ernstlichste verbieten.
Hoffentlich hat es die Polizei nicht gethan, in der richtigen Erkenntniss, dass solche Ver-
bote gewöhnlich das Gegentheil von dem hervorrufen, was sie erzielen wollen. Neben
Courante, Gaillarde, Volte und Pavane war auch trotz aller behördlichen Opposition der
Walzer bereits im 16. Jahrhundert eingebürgert, der sich nicht mehr hat verdrängen lassen
und der Lieblingstanz unserer Jugend ist, der Walzer, die alte Hopelreie oder Rimpfelreie
Schwäbisch, Deutschei' und Schleifer genannt, und ihn tanzte man schon, als Herzog Georg
Wilhelm von Lüneburg anno 1666 eine Neuerung einführte, die das Entzücken aller Lüne-
burgerinnen bildete, einen Maskenball nämlich. Ja, das war eine Wonne, als man sich in
allerlei Costümen tanzend bewegen durfte. Monate lang sprach man noch von nichts, als
von dieser glänzenden Redoute und bewunderte sich gegenseitig noch postnumerando, wie
man dort die Courante, den Branle, den Passamezzo, die Volte, den Walzer, den Bourree
den Dauphin, die Sarabande und gar den Canary getanzt hatte. Aber hätten Lüneburg’s
holde Kinder eine Ahnung davon gehabt, dass dereinst zu Cöln an der Spree ein Opern-
haus stehen und in diesem curiose Tänze, „Subscriptionsball“ mit Gesammtnamen bezeich-
net, stattfinden würden in unerhörtem Glanze mit Gardelieutenants und Commissions-
räthinnen — wie würden sie erst gestaunt haben! —

Berichte von Nah und Fern.
Leipzig, Ende April.
Unsere diesmalige Uebersicht vermag keine reiche Ausbeute für den Kunstfreund
zu bieten. — Gott Merkur, der Schutzpatron der Kaufleute und Sp , führt mo-
mentan das Seepter. Das Theater muss sich der Zeitströmung anpassen, und wohl oder
übel mit den Mess-Sehenswürdigkeiten: Circus, Menagerien und Tingel - Tangeln höheren
und niederen Grades in Concurrenz treten.
Als „Lohengrin“ verabschiedete sich Herr Hajos von hiesiger Bühne, man darf
sagen: „Ende gut, Alles gut.“ Auch Herr Hacker schied nach sechsjähriger Wirksamkeit
aus dem hiesigen Bühnenverbande. Der allgemein geachtete Künstler hatte „Florestan“ in
„Fidelio“ zur Abschiedsrolle gewählt, er durfte mit Recht singen: „Meine Pflicht hab’ ich
gethan.“ Ein überaus reicher Blumenregen legte Zeugniss ab von den Sympathien, welche
der Scheidende sich erworben und mit über Leipzig hinausnahm. — Verdi’s unvermeidlicher
„Troubadour“ ist gewiss vermöge seines Melodienreichthums geeignet, ein Quantum Mess-
fremder in’s Theater zu locken. Herr Ernst erwies sich als nicht ganz geeignet für den
„Manrico“, Frau Peschka-Leutner ist bekanntlich eine vorzügliche „Leonore“, und Fräulein
Keller entfaltete als „Acuzena“ ihre prächtigen Stimmmittel und ihr reiches dramatisches
Talent. — Meyerbeer’s „Dinorah“, seit längerer Zeit vom Repertoir verbannt, hatte sich
keines Erfolges zu erfreuen, obschon die Einzclbesetzung der Rollen: „Hoel“ (Herr Liss-
 
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