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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Ueber die Baukunst [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0193

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187

Heber die Baukunst.
ii.
Die griechischen Baustyle.
Unter allen Völkern, welche in der Geschichte der feineren Civilisation
und Cultur eine hervorragende Stellung einnehmen, stehen die alten Griechen
obenan. Insbesondere ist das alte Griechenland in den Zeiten seiner höch-
sten nationalen Blüthe für die Pflege der schönen Künste eine günstige
Stätte gewesen. Bei dem feinen Sinn für alles Schöne, welchei* den Hellenen
in hohem Grade eigen war, bei den vortrefflichen landschaftlichen und klima-
tischen Verhältnissen, welche Formen- und Farbensinn ausbildeten und in
steter Uebung erhielten, bei dem unvergleichlichen Material, welches die un-
erschöpflichen Marmorbrüche für plastische und architektonische Künstler
lieferten, erfuhren die Schöpfungen der Kunst in Griechenland eine solche
geistige Durchbildung und meisterhafte Vollendung, dass die Formen helleni-
scher Kunst für alle Zeiten mustergültige Vorbilder geworden sind. Betrachten
wir unsere Kirchen, unsere Museen, unsere Concertsäle, unsere Wohnhäuser,
— fast überall begegnen wir zahllosen Formen und Ornamenten, welche ent-
weder rein griechisch sind, oder sich doch auf die griechischen zurückführen
lassen. -— Wir wählen daher als ersten Gegenstand unserer Darstellung der
Baukunst die griechischen Baustyle, wobei wir unsere Leser zunächst
mit dem Wesen der griechischen Baukunst im Allgemeinen vertraut
machen wollen, um alsdann den Charakter des dorischen, dos ionischen
und des korinthischen Baustyls im Besonderen zu besprechen.
1. Das Wesen der griechischen Baukunst äussert sich am Voll-
endetsten im Tompclbau, ia man kann sagen, dass die Kunst der griechi-
sehen Architektur sich vorzugsweise nur dem Tempelbau zugewendet und in
den der Gottheit geweihten Heiligthümern ihre reichsten und prächtigsten
Blüthen getrieben hat. Hat man einfache, den Bedürfnissen entsprechende
Wohnhäuser auch früher gebaut, als Tempel der Götter, welche in den älte-
sten Zeiten ähnlich wie in unserem deutschen Vaterlande nur in dem natür-
lichen Dome heiliger Haine oder auch in der Stille des Hauses am fried-
lichen Heerde verehrt wurden, so gewann doch die Kunst im Allgemeinen
und insbesondere die Baukunst von dem Augenblicke an, wo sie sich über-
haupt zu idealen und künstlerisch vollendeten Aeusserungen erhob, einen so
bestimmt ausgeprägten religiösen Beruf, dass die vorzüglichsten Schöpfungen
derselben nur in Verbindung mit religiösen und heiligen Zwecken auftraten,
ja dass es in der Blüthezeit derselben geradezu gesetzlich verboten war, die
für den Tempelbau so bedeutungsvollen Säulenhallen am Privathause in An-
wendung zu bringen. Die Formen heiliger Architektur wurden höchstens
noch auf solche Gebäude übertragen, welche nicht im eigentlichen, wohl aber
im weiteren Sinne gottesdienstlichen und öffentlichen Zwecken dienten. •—
Das Wohnhaus war für die Familie bestimmt und diente nur den Bedürf-
nissen eines engeren Kreises, der Tempel dagegen sollte die anbetende Ge-
meinde aufnehmen, das Haus der Gottheit war ein öffentliches Heiligthum,
in gleicher Weise bestimmt, der Mittelpunkt religiöser Feierlichkeiten der
ganzen Gemeinde zu sein, wie ein stiller Andachtsort für den Einzelnen, wie
endlich auch eine friedliche Zufluchtsstätte für den schuldbeladenen Sünder,
vor deren Heiligkeit die verfolgenden Bachegöttinnen zurückbebten. — Aus
diesem Charakter der Oeffentlichkeit entwickelt sich das ganze Wesen des
griechischen Tempels, sein erhabener Standort, der gewaltige, sich in Stufen-
form nach oben verjüngende steinerne Unterbau, die von allen Seiten nach
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