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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die Entstehung der Oper [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0014

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wäre das Weib. Jedes von beiden ist eine Eigenart und selbständig bis zu
einem gewissen Grade. Bei inuiger Verwandtschaft sind sie unter einander
sehr verschieden. Mehr einhertretend auf der eignen Spur der „Mann“,
schwankend und unsicher das „Weib“; — aber sich sehnend nach Ergän-
zung und ausschauend das Eine nach dem Andern — so lernen wir beide
kennen. In der Umarmung und Durchdringung beider, in dem Aufgehen
des Einen in dem Andren entsteht ein neues Ganzes, ein Weseu höherer
Potenz.
Ist die Verbindung der beiden Künste , der Poesie mit der Musik, ei-
ner Ehe zu vergleichen, so fordern wir auch von derselben, dass sie heilig
gehalten werde. Im Laufe unsrer Mittheilungen werden wir indess nur gar
zu oft von unglücklichen Ehen, treulosen Gatten und buhlerischen Weibern
zu reden haben.
Die Musik ist ihrem Wesen nach weiblich. Sie wogt auf und ab wie
einer Jungfrau Buseu, den ein unbestimmter Drang schwellt und ein unge-
wisses Gefühl bewegt. Was die reine Musik besagen will, wer vermags zu
deuten? Und wieder vermags doch jeder, aber nur zweifelvoll, denn wie
viele Deutungen lässt ein Instrumentalstück zu!
So könnte man die reine Musik dem ledigen Weibe vergleichen. Wie
dieses kann sie bezaubern, fesselu. Man kann für sie schwärmen, kann ihr
Opfer bringen, ja, man kann ihr ein ganzes Leben widmen — mancher
Componist hat ja diesen Petrarcadienst geübt, — aber sie ist das Höchste
nicht.
Die Dichtkunst ist männlich, darum selbständiger, als die Musik, be-
stimmter, verständlicher, selbstbewusster. Sie neigt -weniger zur Verbindung
mit der Musik, als diese zu einer Vereinigung mit der Poesie. Wo diese
auf der höchsten Stufe steht, da vermag jene sie wohl zu verklären und
ihren Inhalt, wenn er dem Verstände Vieler unnahbar ist, dem Gefühle zu
vermitteln, — wohl in eine andere Sphäre versetzen kann der Ton das
Wort, nicht aber dasselbe innerhalb seiner Sphäre zu höherer Bedeutung
steigern. Wenn Leonore in Fidelio im höchsten Affekte ausruft: „Tödt’
erst sein Weib!“ so pflegen viele grosse Künstlerinnen mit Recht die Stelle
nicht zu singen, sondern zu sprechen. Die Musik reicht hier nicht aus, den
Aufschrei todesverachtender Leidenschaft genügend auszudrücken, darum tritt
das superiore Wort in sein Recht.
Es ist nun weit natürlicher, den Maun in Selbständigkeit einherschrei-
ten zu sehen, als das Weib. Darum vermissen wir an Dichterwerken weit
weniger die Composition, als wir bestrebt sind, den Melodieen einen Text
unterzulegen, und Mendelsohns „Lieder ohne Worte“ werden daher beson-
ders den Mädchen oder traumseligen jungen Männern gefallen.
Und doch ist die Musik, wegen ihrer* weiblichen Anlage zum Getändel
und Gespiele, zu angenehmer Zerstreuung so geeignet, oft begehrter, als die
Poesie. Man besucht ja lieber Conzerte , als Deklamation. — Man sucht
aber auch, wenn des Lebens Stürme der Seele Spiegel kräuseln, eher Trost
bei der Musik als bei der Poesie. Weinen wir uns nicht auch aus im
Schosse der Mutter? Finden wir nicht Ruhe'in den Armen der Gattin?
.Musik ohne Worte und Worte ohne Musik — beides ist für sich be-
rechtigt, wie „Bruder und Schwester“. Aber ein höheres Ganzes ersteht
erst in der Verbindung beider. Eine solche tritt uns auf lyrischem Gebiete
in unserm herrlichen deutschen Volksliede entgegen. Wir finden das echte
— nicht von einem Kunstdichter gemachte, sondern im Volke erwachsene —
Volkslied stets in Verbindung mit der Melodie. Nur gesungen ist es ein
 
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