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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Berichte von Nah und Fern
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0169

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163

Brudermörder sieht. Im tiefsten Tone der Erbitterung, des Hohnes und des Unglaubens
lästerte sie die Götter, strafte alle Orakel Lügen, — dieser erbitterte höhnische Ton ist
eine Auffassung, welche von früher gehörten Wiedergaben nicht unvortheihaft abweicht.
— „Mit Vorsicht“ betitelt sich ein einactiges Lustspiel von G. Neuse, welches in der
That nur mit Vor- und Nachsicht geniessbar ist. Als Novität trat „Prinzessin Dornrös-
chen“, Feenmährchen in 5 Bildern von Görner, mit Musik von Sfiegmann und anderen
Componisten auf. Rechnen wir Decorationen-, Maschinerie- und Garderoben - Effecte ab,
gestehen wir offen ein, dass die Sprache des Ballets für uns undefinirbar ist, so erübrigt
noch ein schwaches Machwerk, ein ungeratheues Kind, welches in die Welt zu schicken
wohl nur ein sehr verliebter Vater, der dem Urtheil der Welt wenig zutraut, im Stande
ist. Die dem Mährchen von Hause aus zugetheilte Poesie ist durch das Görner’sche
Product vernichtet, auf jeder der handelnden Personen liegt eine Last von Schwerfälligkeit
und Langeweile. „Ein Königreich für einen Witz“ könnte man mit Shakespeare ausrufen,
so armselig und triste verläuft der Dialog: selbst „Dornröschen“ — von Frl. Zipser mit
aller anwendbaren Anmuth gespielt — vermag kein Interesse abzunöthigen. Einiger-
massen gelungen kann der im Dienste der Fee Dornrose stehende „Urian“ erscheinen,
welche Rolle Frl. Kampf — unseres Wissens eine noch sehr junge Dame und zum
ersten Mal im Besitze einer grösseren Parthie — allerliebst naiv und leichtbelebt durch-
führte. —
Wenn wir unserem Principe, Gastvorstellungen zu verurtheilen, sofern sie nicht zu
festen Engagements führen, diesmal ungetreu werden und doch das Gastspiel des Hm. Fr.
Nessmüller von Dresden berühren, so beabsichtigen wir, dem damit im Zusammenhänge stehen-
den Possen-Cyclus einen Abschied auf Nimmerwiederkehr nachzurufen. Herr Nessmüller
gastirte als „Viehhändler“ in der veralteten Kaiser’schen Posse „Stadt und Land“, in
seinem eigenen Producte „Sechs Stunden Durchlaucht“, als „Registrator Wichtig“ in der
langweiligen und witzlosen Posse „Der Registrator auf Reisen“ von L’Arronge und Moser
und bekundete allenthalben ein respectables Talent für Charakterkomik. Des Künstler’s
Lorbeeren grünen indess auf Theatern zweiten Ranges gewiss eher, als auf unserer Bühne,
deren heimischen Kräften der Rahmen, welchem sie eingepresst, sichtlich ein lästiger war.

München.
Im Laufe des Februar erhielt die Oper ganz besondere Anziehungskraft durch die,
sich zu grossen Festlichkeiten gestaltenden Abschiedsvorstellungen des Frl. Sophie
Stehle, welche mit Elsa, Walküre und Gounod’s Gretchen dem sie seit 15 Jahren
liebenden und feiernden Publikum Lebewohl sagte. Frl. Stehle besass weniger brillante
Aussenseiten, auch hatte ihre Stimme nur geringen Umfang; vortrefflich aber verstand sie,
mit den gebotenen Mitteln zu operiren und in jedem Ton, jeder Bewegung die gediegene
Künstlerin zu repräsentiren. In ihrer Hauptrolle, in Gounod’s Faust, vermochte sie es
sogar, den wahren Gretchencharakter, trotz der denselben so schrecklich verunstaltenden
Musik, möglichst zui’ Geltung zu bringen. Hervorragend war auch ihre Elsa, während sie
der Walküre nicht so vollkommen genügen konnte, da die dieser Rolle nöthigen grossen
Mittel ihr nicht ganz zu Gebote standen. Und doch — ausserordentlich bedauern wir,
dass mit Frl. Stehle’s Scheiden auch die Walküre jedenfalls für längere Zeit aus München
entschwunden. Wenn auch diese mehr oder weniger ungenügenden Aufführungen für
Wagner selbst ein Greuel sein mögen, so müssen wir doch constatiren, dass das Publikum,
einen annähernden Begriff von diesem Kunstwerke empfangend, eben dadurch zu dem
sehnlichsten Wunsche getrieben wird, endlich auch die vollendete Wirklichkeit schauen zu
dürfen, und deshalb Bayreuth, unbeschadet dieser Einzel-Aufführungen, immer als letztes
und schönstes Ziel im Auge behält. Die Ausstattung der Walküre in München ist eine
durchaus imposante, das Orchester vollzählig, Herr und Frau Vogl als Siegmund und
Sieglinde vortrefflich. Der wunde Punkt bleibt, wie immer, der Dirigentenstab. Und
gäbe man sich die erdenklichste Mühe, und nähme man alles auf’s Gewissenhafteste, wie
Wüllner zu thun durchaus bestrebt ist, — wo der wahre künstlerische Sinn, wo der ge-
borene Dirigent fehlt, ist die Hauptsache verloren. Nun, Bayreuth wird uns erlösen.
Interessant war das zweite Concert der musikalischen Academie. Die Localblätter thaten
in grossen Artikeln kund, „dass man im nächsten Concert Gelegenheit haben werde,
Brahms als Componisten, Dirigenten und Claviervirtuosen kennen zu lernen; dass Brahms
mit Wagner zugleich von Sr. Maj. Ludwig II. von Bayern den Max - Orden erhalten und
in der That auf rein musikalischem Gebiet ebenso Bedeutendes wie Wagner auf musika-
lisch-dramatischem leiste!“ (heisst das: wie Wagner über Gluck, Mozart, Weber, steht
Brahms über Beethoven, Schumann, Berlioz?) —
Das Programm enthielt: Symphonie in D-dur von Haydn, eine von Brahms aufgegrabene
Arie von Schubert, die „göttlichen“ Variationen über ein Haydn’sches Thema, eine
„neunte Symphonie mit C'lavier“, nämlich das Clavierconzert, Lieder, „von denen ein ein-
 
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