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Der Kunstfreund — Band 1.1874

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Die grosse Kunst-Ausstellung in der Königlichen Akademie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.56232#0383

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auch ihre Marmortechnik in Italien erlernen, so ist diese in der plastischen Kunst
doch bei Weitem mehr nur ein äusserliches Hülfsmittel, als die Technik in der
Malerei, und man hat es jetzt auch bei uns schon nach dieser Richtung hin zu
vollkommen genügenden Resultaten gebracht.
Die italienischen Bildner zeigen durchweg in Darstellungen mythologischen In-
halts ein Festhalten an den Ueberlieferungen der Antike, nur selten tritt ein cha-
rakteristisches Streben nach Individualisirung hervor, und wo es sich zeigt, ist es
in genrehaften Darstellungen. Von Letzteren sind einige sehr gelungene Werke
hervorzuheben, die eine ganz besondere Befähigung der Italiener für das Genre
kundgeben.
Des Mailänders Pietro Guarnerio „Preghiera forzata“ zeigt in dieser Rich-
tung eine sehr gelungene Darstellung, fein empfunden und voller Humor. Dieser
prächtige weinende Knabe mag wohl für die unteren Räume der Ausstellung der
Liebling der Damen sein. Sehr glücklich ist auch die „Verstellung und Zärtlich-
keit“ von Raimondo Pereda wiedergegeben. Dieses lieblich grausame Spiel,
durch das man sich an der Entwickelung der Kinderherzen erfreut, findet in aller
Herren Länder ein Verständniss, zumal wenn es in so liebenswürdiger Weise wie-
dergegeben ist. Ugo Zannoni’s „Studio e laboro“, jenes zierliche Mädchen,
welches lesend und stiickend eifrig beschäftigt ist und Piero Calvi’s Mignon, in
mehr malerischer Behandlung, gehören zu den vorzüglichsten Genre-Darstellungen
italienischer Kunst. Ein feines Formengefühl und graziöse Bewegung spricht sich
in Antonio Tantardini’s lebensgrosser weiblicher Figur aus, die im Begriff,
einen Bach zu durchwaten, zum ersten Male die sinnliche Empfindung der Berüh-
rung des Wassers spürt. Fein empfunden und wiedergegeben ist dieser Vorwurf,
obgleich wir an die Möglichkeit des Gegenstandes einige prosaische Zweifel knüpfen
möchten. Sollte es wirklich vorkommen, dass ein Mädchen, das den Kinderjahren
schon lange entwachsen ist, zum ersten Male die Empfindung des Wassers an ihrem
Körper verspürt, und sollte der reinliche Marmor das geeignete Darstellungsmate-
rial für den Zustand derartiger Entbehrungen bieten?
Nächst diesen sämmtlich Mailänder Künstlern, sind nur noch zwei, gleichfalls
Mailänder, anzuführen, Achille Bianchi und Enrico Braga, vertreten durch
theils symbolische theils realistische Darstellungen.
Besondere Beachtung unter den deutschen Künstlern aus verschiedenen
Schulen verdienen Joh. Benk (Wien), dessen Colossalstatue der Seherin Kassandra
wirkungsvoll und würdig empfunden ist, Eduard Müller (Koburg, z. Z. in Rom),
dessen zwei Marmorgruppen „Das Geheimniss des Fauns“ und „Bachantin, Amor
die Flügel beschneidend“, zu den besten Werken der Ausstellung gehören, edel und
decent in der Auffassung und vollendet in der Formendurchbildung, C. Schlüter
(Rom) „Semiramis“, H. Schubert (Dresden) „Jugendlicher Faun“, sehr schön in
Marmor ausgeführt, Stephan Sinding (Christiania) „Der junge Hermes, sich
schlafend stellend“, mit feinster Charakteristik und E. Wolff (Rom) „Hirten-
mädchen“. Die Eva von G. Kaupert (Frankfurt a. M.), wenngleich sie die
Mutter des ganzen Menschengeschlechts darstellen soll, ist zu derb in der Form
und erinnert zu sehr an die Auffassung älterer Maler. Das Gypsrelief in Lebens-
grösse von Karl de Kesel (Brüssel) „Das Urtheil des Salomon“ bietet dem Auge
eine zu verworrene Masse. Diese Darstellung ist mehr ein Gegenstand für den ge-
zeichneten Carton, da die mangelnde Vertiefung bei einem Relief doch zu sehr mit
perspectivischen Bedingungen zu kämpfen hat.
Unter den Berliner Kunstwerken zeigt R. Begas „Pan und Psyche“, in
Marmor ausgeführt, sowie das „Grab-Monument“ (für Stroussberg) und „Merkur
und Psyche“ eine Emancipation von der Stylistik und eine Annäherung an die Natur
in malerischem Sinne, die in den Werken dieses Künstlers mit überzeugender Be-
rechtigung auftreten, und mögen diese Eigenschaft wohl als die Grundelemente der
modernen plastischen Kunst zu bezeichnen sein.*) 0. Gradler’s Reitergruppe
„Faust und Mephisto“, sowie dessen Thiergruppe bezeugen gleichfalls vollkommen

* R. Begas „Merkur und Psyche“ ist bekanntlich die Gruppe, deren gelungenes
Modell dem Künstler den ehrenvollen Auftrag verschafft hat, dieselbe für die National-
Gallerie in Marmor auszuführen,

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