könnte von einem bissigen Kritiker geschrieben sein und
ich bemerke, daß ich auch hierzu Talent gehabt hätte.
Unterwegs einmal begegnete ich zufällig Anton von
Werner; wir freuten uns sehr. Am Nachmittag besuchte
ich ihn in seinem Atelier. Dann aßen wir irgendwo zu
Abend in einem kleinen Lokal, wo viel deutsch gesprochen
wurde. Um 10 Uhr begleitete mich Werner heim in die
Avenue Montagne.
Ich fürchte, daß das Aufzeichnen der Begebenheiten
durch all die Jahre hindurch, den Leser verleiden
könnte, denn ich gestehe, auch mir wird es langweilig.
Von Bernau nach Karlsruhe, von Karlsruhe nach Bernau,
was kann das einen viel angehen. Es scheint mir auch,
daß in einer Lebensgeschichte nur die geistige Entwick-
lung von Bedeutung sein kann. So wie die Einheit der
Seele durch all den Zufall des Geschickes hindurch sich
wahrt und bestehen bleibt — die Seele die durch den
Lebenslauf hindurch zu einer Erkenntnis ihrer selbst zu
kommen sucht.
„Erkenne dich selbst!“ Das scheint mir freilich ein
zweischneidiger Ausspruch zu sein, und es ist gut, daß
dies nicht so leicht möglich ist, sonst würde man gar
oft dazu kommen zu sagen: „Nun fürchte ich mich vor
niemand mehr, als vor mir selber.“
Wie die Seele sich durch Raum und Zeit hindurch-
windet, das dürfte es sein, worauf es im Lebenslauf
ankommt.
Geboren werden verpflichtet, jeder hat an dieser
Schuld abzuzahlen. Der Rest, der übrigbleibt, fällt dem
unbarmherzigen Gerichtsvollzieher Tod in den Schoß.
Ich werde nun öfters das Erzählen vom Gang der
Ereignisse unterbrechen mit derartigen Erörterungen, die
ich noch in alten Tagebüchern finde, oder die mir auch
neu während dem Schreiben einfallen.
Aber ich fahre fort, denn ich bin bei dem Kapitel
Paris. Bei Scholderers Freund, dem Maler Fautin, sah
ich japanische Malereien, die mir einen gar schönen
Eindruck machten; sie erinnerten mich an meine lieben
Altdeutschen, die mich auch in Paris lebhaft angezogen
haben, wo ich ihnen in Sammlungen begegnete. Ich
habe mich in Paris wacker umgesehen und fühlte mich
von den schönen Eindrücken erfüllt, so daß ich an die
Heimkehr denken mußte — ja mußte —• denn ich hatte
kein Geld mehr.
Am Abend des 6. Mai 1868 brachte mich Scholderer
an den Straßburger Bahnhof und kaufte mir ein Billett
nach Basel. Mit dem Schnellzug ging es nun in der
Nacht durch das Land. Das Coup6 war überfüllt und
es war mir etwas ungemütlich, daß ich nicht französisch
konnte. Der Mond ging auf und schimmerte geheimnis-
voll durch die schlanken Gipfel der französischen Bäume
und glänzte in Flüssen und Bächen, es war eine zauber-
hafte Nacht. Um 12 Uhr in Troyes leerte sich der
Wagen. Schlafen wollte ich nicht, ich sah immer wieder
in die mondbeglänzte Nacht hinaus und war in glück-
licher Stimmung. Die Morgendämmerung war auch
schön; wir fuhren durch eine gar schöne Frühlingsland-
schaft. Wir kamen an Beifort vorüber. Altkirch, die
erste Station mit deutschem Namen. Von Mülhausen
ab war ich allein im Coupe. Ich war so fröhlich, daß
ich sang, denn ich hatte immer noch einundeinhalb
Franken Geld in der Tasche. Um 9 Uhr war ich beim
Freund Schümm und seiner guten Schwester in Basel.
Schümm und ich lachten wieder unser gehörig Teil.
Wir machten Ausflüge in die Gegend, es waren gar
herrliche Maitage, und meine Augen sogen viel von der
Schönheit ein. Schümm half mir mit 50 Franken aus
der ärgsten Not, und so fuhr ich über Schopfheim, Wehr
und Todtmoos nach Bernau. Wieder in der alten Hei-
mat, wohin auch Mutter und Schwester von Säckingen
zurückgekehrt waren. Wir wohnten im Joglishaus, dem
Stammhaus meines Vaters, meinem Geburtshaus — ich
in einem kleinen vertäfelten Stübchen. Eine Haupteigen-
schaft, die mich beherrschte, war die Neugierde. Es
wurde mir zur Gewohnheit, gar oft bei der Aussichts-
losigkeit, die meinen Lebensgang verhüllten, zu fragen:
Wie wird es jetzt gehen? Wo hinaus? Und gerade
jetzt war es so aussichtslos um mich herum, ich war
sogar neugierig, was ich jetzt für Bilder malen würde,
nach all den Eindrücken aus Paris. Was sollte ich an-
fangen? Einstweilen grundierte ich Leinwand. Dann
malte ich Agathe im kleinen Stübchen einen Frühlings-
blumenstrauß auf dem Tisch und ich sah, daß es gut
war! Über die Pfingsttage war Schümm bei mir. Trotz
allen Sorgen war ich arbeitsfroh. Ich grundierte große
Leinwände, auf eine derselben malte ich Mutter und
Agathe und einen kleinen Bub und ein Huhn im Garten;
die Figuren etwa halblebensgroß. Ein Engländer, Tho-
mas Tee aus Manchester, hat es später auf der Aus-
stellung in München für 800 Mark gekauft. Leider, denn
es ist dadurch ganz verschollen, es war eines meiner
besten Bilder. Auch noch einige andere Bilder, die ich
in diesem Sommer malte, hat Th. Tee in München ge-
kauft. Daß jemand sie in Deutschland gekauft hätte,
war unmöglich. Lugo kam und blieb den Juli über bis
in den August hinein. Es war ein recht vergnügliches
und arbeitsreiches Zusammensein. Mit dem Datum
8. September steht im Tagebuch: „Not, nichts als Not,
von nirgendher ein Schimmer von Hoffnung. Was soll
ich beginnen, wo soll ich hin im Winter? Ich weiß,
daß meine Bilder unverkäuflich sind, sie sind so ganz
anders als man in Karlsruhe und Düsseldorf die Bilder
haben will. Ich habe nicht einmal so viel Geld, daß ich
mit ruhigem Gewissen Briefe fortschicken kann. Seit
vier Wochen kein Geld und auch meine Arbeitskraft
fängt an unter der Stimmung zu leiden.“
Wie schon so oft hat mich der gute Schümm dureh
Zusendung von 20 Gulden von der ärgsten Not gerettet.
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ich bemerke, daß ich auch hierzu Talent gehabt hätte.
Unterwegs einmal begegnete ich zufällig Anton von
Werner; wir freuten uns sehr. Am Nachmittag besuchte
ich ihn in seinem Atelier. Dann aßen wir irgendwo zu
Abend in einem kleinen Lokal, wo viel deutsch gesprochen
wurde. Um 10 Uhr begleitete mich Werner heim in die
Avenue Montagne.
Ich fürchte, daß das Aufzeichnen der Begebenheiten
durch all die Jahre hindurch, den Leser verleiden
könnte, denn ich gestehe, auch mir wird es langweilig.
Von Bernau nach Karlsruhe, von Karlsruhe nach Bernau,
was kann das einen viel angehen. Es scheint mir auch,
daß in einer Lebensgeschichte nur die geistige Entwick-
lung von Bedeutung sein kann. So wie die Einheit der
Seele durch all den Zufall des Geschickes hindurch sich
wahrt und bestehen bleibt — die Seele die durch den
Lebenslauf hindurch zu einer Erkenntnis ihrer selbst zu
kommen sucht.
„Erkenne dich selbst!“ Das scheint mir freilich ein
zweischneidiger Ausspruch zu sein, und es ist gut, daß
dies nicht so leicht möglich ist, sonst würde man gar
oft dazu kommen zu sagen: „Nun fürchte ich mich vor
niemand mehr, als vor mir selber.“
Wie die Seele sich durch Raum und Zeit hindurch-
windet, das dürfte es sein, worauf es im Lebenslauf
ankommt.
Geboren werden verpflichtet, jeder hat an dieser
Schuld abzuzahlen. Der Rest, der übrigbleibt, fällt dem
unbarmherzigen Gerichtsvollzieher Tod in den Schoß.
Ich werde nun öfters das Erzählen vom Gang der
Ereignisse unterbrechen mit derartigen Erörterungen, die
ich noch in alten Tagebüchern finde, oder die mir auch
neu während dem Schreiben einfallen.
Aber ich fahre fort, denn ich bin bei dem Kapitel
Paris. Bei Scholderers Freund, dem Maler Fautin, sah
ich japanische Malereien, die mir einen gar schönen
Eindruck machten; sie erinnerten mich an meine lieben
Altdeutschen, die mich auch in Paris lebhaft angezogen
haben, wo ich ihnen in Sammlungen begegnete. Ich
habe mich in Paris wacker umgesehen und fühlte mich
von den schönen Eindrücken erfüllt, so daß ich an die
Heimkehr denken mußte — ja mußte —• denn ich hatte
kein Geld mehr.
Am Abend des 6. Mai 1868 brachte mich Scholderer
an den Straßburger Bahnhof und kaufte mir ein Billett
nach Basel. Mit dem Schnellzug ging es nun in der
Nacht durch das Land. Das Coup6 war überfüllt und
es war mir etwas ungemütlich, daß ich nicht französisch
konnte. Der Mond ging auf und schimmerte geheimnis-
voll durch die schlanken Gipfel der französischen Bäume
und glänzte in Flüssen und Bächen, es war eine zauber-
hafte Nacht. Um 12 Uhr in Troyes leerte sich der
Wagen. Schlafen wollte ich nicht, ich sah immer wieder
in die mondbeglänzte Nacht hinaus und war in glück-
licher Stimmung. Die Morgendämmerung war auch
schön; wir fuhren durch eine gar schöne Frühlingsland-
schaft. Wir kamen an Beifort vorüber. Altkirch, die
erste Station mit deutschem Namen. Von Mülhausen
ab war ich allein im Coupe. Ich war so fröhlich, daß
ich sang, denn ich hatte immer noch einundeinhalb
Franken Geld in der Tasche. Um 9 Uhr war ich beim
Freund Schümm und seiner guten Schwester in Basel.
Schümm und ich lachten wieder unser gehörig Teil.
Wir machten Ausflüge in die Gegend, es waren gar
herrliche Maitage, und meine Augen sogen viel von der
Schönheit ein. Schümm half mir mit 50 Franken aus
der ärgsten Not, und so fuhr ich über Schopfheim, Wehr
und Todtmoos nach Bernau. Wieder in der alten Hei-
mat, wohin auch Mutter und Schwester von Säckingen
zurückgekehrt waren. Wir wohnten im Joglishaus, dem
Stammhaus meines Vaters, meinem Geburtshaus — ich
in einem kleinen vertäfelten Stübchen. Eine Haupteigen-
schaft, die mich beherrschte, war die Neugierde. Es
wurde mir zur Gewohnheit, gar oft bei der Aussichts-
losigkeit, die meinen Lebensgang verhüllten, zu fragen:
Wie wird es jetzt gehen? Wo hinaus? Und gerade
jetzt war es so aussichtslos um mich herum, ich war
sogar neugierig, was ich jetzt für Bilder malen würde,
nach all den Eindrücken aus Paris. Was sollte ich an-
fangen? Einstweilen grundierte ich Leinwand. Dann
malte ich Agathe im kleinen Stübchen einen Frühlings-
blumenstrauß auf dem Tisch und ich sah, daß es gut
war! Über die Pfingsttage war Schümm bei mir. Trotz
allen Sorgen war ich arbeitsfroh. Ich grundierte große
Leinwände, auf eine derselben malte ich Mutter und
Agathe und einen kleinen Bub und ein Huhn im Garten;
die Figuren etwa halblebensgroß. Ein Engländer, Tho-
mas Tee aus Manchester, hat es später auf der Aus-
stellung in München für 800 Mark gekauft. Leider, denn
es ist dadurch ganz verschollen, es war eines meiner
besten Bilder. Auch noch einige andere Bilder, die ich
in diesem Sommer malte, hat Th. Tee in München ge-
kauft. Daß jemand sie in Deutschland gekauft hätte,
war unmöglich. Lugo kam und blieb den Juli über bis
in den August hinein. Es war ein recht vergnügliches
und arbeitsreiches Zusammensein. Mit dem Datum
8. September steht im Tagebuch: „Not, nichts als Not,
von nirgendher ein Schimmer von Hoffnung. Was soll
ich beginnen, wo soll ich hin im Winter? Ich weiß,
daß meine Bilder unverkäuflich sind, sie sind so ganz
anders als man in Karlsruhe und Düsseldorf die Bilder
haben will. Ich habe nicht einmal so viel Geld, daß ich
mit ruhigem Gewissen Briefe fortschicken kann. Seit
vier Wochen kein Geld und auch meine Arbeitskraft
fängt an unter der Stimmung zu leiden.“
Wie schon so oft hat mich der gute Schümm dureh
Zusendung von 20 Gulden von der ärgsten Not gerettet.
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