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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Maiheft
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Meyer, Hans: Die Entwicklung der deutschen Gebrauchsgraphik
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0334

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meister, Steinlen aus seiner sozialen Begeisterung heraus
den Grundstein der neuzeitlichen Plakatkunst gelegt
hatten. Und er wuchs gleichzeitig in England unter den
Händen eines Beardsley und der „Brüder Beggarstaff“,
er wuchs in Belgien, in Amerika, bevor die deutsche Ent-
wicklung einsetzte, die — um es vorweg zu nehmen —
ihre Vorgänger gar bald überholte und hinter sich ließ,
selbst übertroffen nur durch die noch jüngere, aber heute
unerreicht dastehende Schweizer graphische Kunst. —

Es ist bezeichnend, daß das erste deutsche Plakat
im heutigen Sinne — in den andern Ländern ist es im
Wesentlichen ebenso — von einem weit weniger be-
kannten Künstler herrührte, als es die vorher genannten
waren. So bleibt es denn auch weiter: Nicht daß die

Männer, die sich nun dem Plakat als ihrer Sonderauf-
gabe zuwenden, schlechtere Künstler wären, — aber
jedenfalls sind es andere, und im Wesen der Sache
liegt es, daß sie sich schwerer den großen Ruf und die
Stellung in der Kunstgeschichte erwerben, zu der die
Vertreter der „hohen“ Kunst gelangen. Sütterlin hatte
sich mit seinem Plakat, das übrigens fast sein einziges
geblieben ist, völlig von der Darstellungsweise los-
gemacht, die das künstlerische Plakat bisher — als ein
auf den Stein gezeichnetes Gemälde — beherrscht hatte.
Mehr noch als von der äußeren Machart, die sich in der
Farbenzahl eine bewußte Beschränkung auferlegte, gilt
das von der Wahl des Dargestellten. Bisher war kein
bildliches Plakat denkbar gewesen ohne eine mensch-
liche Gestalt, die zu dem angekündigten Gegenstand
irgendwie in sachliche oder bildliche Beziehung gebracht
wurde. Sütterlin wählt als erster ein S i n n b i 1 d , die
aus der Erde wachsende Faust mit dem Hammer, — und
hier liegt das Neuartige, was der Bewegung den ge-
waltigen Stoß vorwärts gab. Noch wirkte allerdings
gerade dieses Beispiel wenig nachhaltig auf die Entwick-
lung ein. Es folgen zunächst Künstler, deren bleibende
Bedeutung vor allem darin liegt, daß sie den äußeren
Eigenstil des Plakats schaffen, der von der vorgetäuschten
Tiefenwirkung zu der ehrlichen Flächenkunst führt, und
daß sie eben überhaupt Künstler sind, denen ihr Stolz
nicht verbietet, Plakate zu machen. Hierher gehören in
Berlin Edmund Edel, Lindenstaedt, Knut Hansen und
andere, die immer noch bei der figürlichen Darstellung
bleiben, wenn sie auch von dem zum Überdruß gesehenen
„Genius mit Füllhorn“ längst zu schlagkräftigen, be-
ziehungsreichen, oft derb witzigen Gestalten gelangt sind,
wie sie eben nur das damalige Berlin hervorbringen und
würdigen konnte. In München entsteht zur selben
Zeit das ähnlich gerichtete, aber ganz auf Münchener
Boden gewachsene Figurenplakat, das sich über Künstler
wie Jank, Münzer, Nägele, Witzei bis zu seinem Meister
Hohlwein fortentwickelt. Neben ihm aber bringt sich
schon im Anfang das sinnbildliche Plakat zur Geltung,
das — natürlich in vielfacher Beziehung mit dem andern
verschlungen und nicht immer von ihm zu trennen —
seine Meister in Thomas Theodor Heine, Bruno Paul
Diez und Stuck findet. Anderswo sehen wir Hans Unger
in Dresden, Cissarz in Darmstadt, Langhein in Karlsruhe
am Werk, daneben natürlich eine stets wachsende Schar

anderer Männer, deren Nennung nicht ihr Unwert, son-
dern nur die notwendige Gedrängtheit dieser Übersicht
verbietet.

* *

*

Zehn Jahre vergehen so, das figürliche Plakat
herrscht unbestritten. — Da tritt, durch keine Überleitung
vorbereitet, nicht einmal durch das sinnbildliche
Plakat, das nie zu eigener Macht gelangt ist, das Sach-
p 1 a k a t auf. Lucian Bernhard in Berlin ist sein Schöpfer,
ist mehr als das: sein Beginner zugleich und sein Voll-
ender. Sein Clubsessel, sein Stiller-Schuh, die Priester-
Zündhölzer, der Steinway-Flügel und andere Blätter sind
weniger Marksteine einer Entwicklung als Wegezeichen
einer von Anfang an ebenen, breit angelegten und gut
gehaltenen Straße von schnurgeradem Verlauf. Mit un-
erhörter Formsicherheit, stets treffender Erfindung, un-
endlich verfeinertem Farbenreichtum erntet er das von
ihm angebaute Feld selbst so restlos ab, daß sich neben
ihm keine bedeutende Begabung mit eigener Erfindung
behaupten kann. Ein Heer tüchtiger Kräfte zieht ihm
seither nach auf dieser Straße, — keiner hat ihn je über-
holt, keiner im rascheren Lauf ihm die Führung entrissen,
keiner seitlich ausbiegend neue Wege gefunden, neue
Ziele gewiesen: — Der Schöpfer des Sachplakats
wird sein Erschöpfe r.

Das Gleiche gilt vom Schriftplakat, das von
demselben Bernhard geschaffen, seine eigene weitreichende
Bedeutung gewinnt, unter tausend tüchtigen Händen,
tausend Abwandlungen erfährt, bis heute aber keinen
neuen Meister gefunden hat, der ihm das an Eindring-
lichkeit und Schönheit zugleich abzugewinnen vermöchte,
was sein Sei Opfer mit ihm, so noch jüngst mit seinen
Kriegsanleihe- und Wahlplakaten, erreicht hat.

Währenddessen erlebt das figürliche Plakat,
weniger noch als vorher von dem sinnbildlichen zu
trennen, seine Spätzeit. In München sehen wir Jo-
hann B Maier, Moos, Preetorius, Kunst neben dem un-
erschöpflichen Hohlwein an der Arbeit, in Berlin
schaffen Julius Klinger, der aus Wien, Erdt, der aus
München kommt, Gipkens und — vielleicht der wert-
vollste — Scheurich. Zuletzt gewinnt Deutsch, ebenfalls
aus Österreich kommend, kurze Zeit beinahe ent-
scheidenden Einfluß auf die Berliner Entwicklung, bis
die allzu trüben Quellen seines Schaffens bloßgestellt
werden: der Krieg kommt ihm zur rechten Zeit, sein
klangloses Verschwinden vom Schauplatz äußerlich zu
decken. Daneben geht die gleichgerichtete Entwicklung
im Reiche vor sich, ohne auch diesmal einer andern
Stadt neben Berlin und München eine führende Rolle zu
verschaffen.

Aber die Geschichte der Gebrauchsgraphik, die bisher
die Geschichte des Plakats war, beginnt jetzt, auch die
andern Gebiete einzubeziehen, die — zumeist älter als
das Plakat — umso zäher sich den neuen Forderungen
versagt hatten. Die Zeitungsanzeige, von Hajduk
in Berlin entscheidend befruchtet, der als erster einen
Besteller für täglich wechselnde Anzeigen findet, das
Buch mit seinem Einband und Schmuck, seiner
Illustration und Satzanordnung, das Geschäfts-

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