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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Juniheft
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Sarre, Friedrich: Das Ischtar-Tor von Babylin
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0385

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Abb. 2. Das Emaille-Mauerstück vom Ischtar-Tor
in Babylon

Abb. 4. Der Drache vom Ischtar-Tor
in Babylon

Ehe Koldewey auf der Ruinenstätte des Ischtar-Tores
den Spaten ansetzte, wiesen die verstreuten leuchtenden
Emailbrocken auf die prachtvolle letzte Gestaltung des
Bauwerks hin. Dieses war zusammengestürzt und ver-
schwunden; nur noch Reste einer Reihe der flach-
emaillierten Stiere kamen bei Beginn der Ausgrabungen
zum Vorschein. Dem Scharfsinn des Entdeckers ist es
gelungen, den gesamten Aufbau in seinen einzelnen
Teilen zu rekonstruieren; wobei ein Goldplättchen aus
einem Sarge im Nabupolassar-Palast, auf dem ein babylo-
nisches Stadttor dargestellt ist, wertvolle Anhaltspunkte
gab. Die teilweise nach Zeichnungen von Walter Andrae
hergestellten Farbentafeln der Veröffentlichung geben
einen Begriff von diesem eindrucksvollen Monument,

dem die Farbigkeit trotz aller Größe einen festlichen

Charakter verleiht.

Die schreitenden Tierfiguren, deren Herstellung in
der Technik der „Emaillierung mit toten Rändern“ ein-
gehend behandelt wird,

kommen in zwei Farben,
mit weißen und mit gelben
Körpern, vor. Der Stier,
dessen steile Kopfhaltung
dem Tiere des Gottes Adud
etwas Vornehmes geben

soll, ist in strenger Profil-
haltung dargestellt, die die
paarigen Organe, wie die
Hörner, nur einmaligwieder-
gibt (Abb. 3). Es handelt
sich um den Wildstier, für
den das glatte Fell und
büschelartige Mähne charak-
teristisch sind. Die andere
drachenartige Tiergestalt,
der „Sirrusch“, das Tier des
Marduk und des Nebo, die
„gehende Schlange“ kommt
schon in den ältesten babylonischen Kunstdarstellungen vor
(Abb. 4). Auch diesem Fabelwesen, das in seiner Gestaltung
vorweltlichen Sauriern ähnelt, kann man trotzdem eine

gewisse Lebensfähigkeit nicht absprechen. Das an-
scheinend langsam daherschreitende Tier, dessen ge-
schuppter Körper vorn auf Leoparden-, hinten auf Raub-
vogelfüßen ruht, streckt den hohen Hals mit dem
gehörnten Schlangenkopf witternd vor. In gleichem
Winkel wie den Hals hebt es den in einen Skor-
pionenstachel auslaufenden Schweif gleichsam in ner-
vöser Spannung, in leichten Schwingungen gewunden
steil empor. Beide Tierbilder gehören zu den besten
figürlichen Darstellungen, die die altorientalische Kunst
geschaffen hat. „Es weht ein förmlich selbstschöpferischer
Geist in diesem uralten Kunstgebilde (dem Sirrusch),
das an Einheitlichkeit des physiologischen Gedankens
alle übrigen Phantasietieren weit übertrifft.“ Gelbe, mit
weißen Rosetten gefüllte Leisten umgaben die mit den
Tierfiguren gedeckten blauen Wandflächen.

Die mit Tafeln, Plänen und Abbildungen nach
photographischen Aufnahmen reich ausgestattete Ver-
öffentlichung Koldeweys
behandelt erschöpfend das
künstlerisch bemerkenswer-
teste Denkmal des „Wieder-
erstehenden Babylon.“ 2)
Auch in seiner verstümmel-
ten, nur im unteren Teile
erhaltenen Gestaltung macht
es auf jeden Besucher des
Ruinenfeldes einen unaus-
löschlichen Eindruck.

In dem bunten, teppich-
artigen und mit Reihen
von Tierfiguren gemusterten
Schmuck des Ischtar-Tores
haben wir ein Beispiel echt
orientalischen Dekorations-
prinzips vor uns. Dieses
sollte anderthalb Jahrtau-
sende später in der isla-

2) Unter diesem Titel hat Koldewey in einem anderen,
1914 erschienenen Werke die „bisherigen Ergebnisse der deutschen
Ausgrabungen“ veröffentlicht (J. C. Hinrichs Verlag, Leipzig).

Abb. 3. Der Stier vom Ischtar-Tor in Babylon

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