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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Juniheft
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Jakstein, Werner: Kunstgewerbe in Skandinavien und Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0400

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Neben diesem heimatlichen Stile, der sich in der Ge-
staltung reichen, phantastischen Laubwerks gefällt, herrscht
in Dänemark der klassizistische. Die Möbelkunst zeigt
auch einen Klektizismus im Queen-Ane und Shippendal.
Alle Arbeiten werden nun in durchaus edlen und seltenen
Materialien ausgeführt. Da diese guten Materialien auch
in den künstlerisch unbedeutenden Waren auftreten, so
wirkt für uns heute der Anblick der Kopenhagener Schau-
fenster geradezu verblüffend und überwältigend. Natürlich
ist das Publikum an die materielle Güte der Waren ge-
wöhnt, was zu erreichen wir vor dem Kriege uns von
seiten der Kulturkämpfer aus ja ebenfalls haben ange-
legen sein lassen.

Immerhin ist neben diesen wichtigsten kunstgewerb-
lichen Waren die kunstgewerbliche Betätigung in Däne-
mark gering. Sehr rückständig sind z. B. die Spiel-
warengeschäfte, wo als einzige erfreuliche Erscheinung die
geradezu vorzüglichen Arbeiten des Architekten Hans
Koch zu nennen sind. Es sind dies seine Julearker
und sein Hans-Klodsspil, d. h. Bilderbögen zum Aus-
schneiden und kleben und ein Steinspiel zum Zusammen-
legen. Leider findet man sie in den Geschäften nur
selten. Der Sinn der Bevölkerung ist hier also noch nicht
geweckt.

In Norwegen ist die heimische Produktion des Kunst-
gewerbes nur schwach entwickelt. Silberarbeiten und
Webereien werden am ehesten bemerkt. Von diesen
fußen die Silberarbeiten auf dem dänischen Vorgehen.
Man hat versucht, eine eigene Note hieraus zu entwickeln.
Sie ist aber reichlich derb ausgefallen. Gearbeitet wird
aber größten Stiles, so daß z. B. für einen Rauchtisch
nicht nur das Geschirr, sondern auch die ganze Tisch-
platte großen Umfanges und gehöriger Stärke geliefert
wird.

Auffallend ist der große Import an vorzüglichen
Möbeln aus Dänemark und Schweden und an Be-
leuchtungskörpern aus Italien, ln einer Stadt wie Bergen
führt fast jedes Möbelgeschäft diese gute Ware, so daß
dort schon mit einem gefestigten guten Geschmack auch
der Käufer gerechnet werden kann. Italien nutzt für die
Beleuchtungskörper sein Rohmaterial, den Alabaster aus-
gezeichnet aus. Hängende und stehende Schalen und
pilzförmige Lampen treten hauptsächlich in die Erscheinung.

Schwach sieht es in beiden Ländern mit dem Buch-
gewerbe aus. Bringt man in Kopenhagen auch sehr gute
Einbände, so werden doch fast nur ungebundene Bücher
gekauft. Die Käufer sagen, sie wollten sich ihre Bücher
lieber nach eigenem Geschmack binden lassen, was sie
aber nachher meistens vergessen. Es gibt ganz vorzügliche
Luxusausgaben, von denen mehrere aus Architektenkreisen
stammen, was sehr bezeichnend für die führende Rolle
der Kopenhagener Architekten ist. In Norwegen werden
gute Bücher eigentlich gar nicht gekauft, man sieht nur
einige in den Schaufenstern Kristianias. Es herrscht voll-
ständig die skandinavische und englische Detektivliteratur
in ungebundenen, grell bemalten Umschlägen. Siehe
unsere Literatur während des Krieges!

Bei dem Gedanken, daß Deutschland Skandinavien
mit kunstgewerblichen Arbeiten versehen könnte, kommt

nun zunächst wieder der künstlerische Gesichtspunkt in
Betracht. Und angesichts der guten Arbeiten der Nord-
länder überkommt einen hier doch ein gewisses bäng-
liches Gefühl. Wir müssen unterscheiden zwischen dem
Stand der Dinge von 1914 und 1920. Daß heute nicht
alles so ist, wie es sein sollte und könnte, ist klar. Nicht
nur hinsichtlich der Materialfrage. Es fehlt jetzt die Ruhe
der Überlegung, die einem hastigen Verdienenwollen ge-
wichen ist. Für den Stand der Dinge um 1914 gibt aber
die Werkbundausstellung, die 1918 in Kopenhagen statt-
fand, ein gutes Bild. Es waren vorzügliche Arbeiten vor-
handen, die auch die freimütige Anerkennung der Dänen
fanden. Auch das Silber war konkurrenzfähig vertreten.
Aber in allem fehlte doch die Sicherheit der Verallge-
meinerung und der Stetigkeit des guten Geschmackes.
Betrachtet man ein so ungeheures Gebiet, wie es Deutsch-
land mit der Zahl seiner Bevölkerung Skandinavien gegen-
über ist, so hat es doch allzuwenig zu besagen, wenn
immer nur einige, sehr wenige, künstlerische Kräfte in die
Erscheinung treten. Wo haben wir in Deutschland oder
auch nur in einem Teile desselben — was natürlicher
wäre — eine so stetige Entwicklung wie in Dänemark
die mit dem jüngeren Bindesböll beginnende Richtung?
Können wir mit irgend einer Klassifizierung sagen: so
und so sieht das deutsche Silber, sieht das deutsche
Möbel aus? Wir haben künstlerische Kräfte, von denen
— vielleicht — auch einige Zusammengehen, deren ge-
meinsame Arbeit aber viel zu wenig durchdringt, viel zu
gering ist, um so etwas wie eine Schule zu bedeuten.
In der Möbelbranche sieht es noch schlimmer aus. Unsere
ersten Kräfte haben ganz vorzügliche Sachen gearbeitet
und uns Sensationen gebracht, derart, daß auf einer Aus-
stellung wie der Leipziger allein die Möbel ein Studium
für sich bedingten. Aber wo ist das typische deutsche
Möbel? Das Kastenmöbel hat sich zu einem bekannten
Begriff durchringen können, aber sein formaler Wert ist
doch nur ein sehr geringer, mußte es sein, denn es ist
ja der verkörperte Begriff des Verzichts auf jede Form.
Da man mit dieser Form der Formlosigkeit nicht weiter-
kam und da keine andere Form einen größeren Erfolg
erzielen konnte, so war der Erfolg der, daß in all unseren
Städten alle Möbelfabrikanten allein für sich durch reich-
lich ungeschulte Kräfte nur durch den Absatz geleitet,
eigene Formen auf den Markt brachten. Es waren keine
Kulturformen und sind es heute noch nicht. Einen ein-
zigen Lichtblick brachten die Kriegsmöbel, aber es lag in
der Natur der Sache, daß in der Zeit des größten Material-
mangels nichts dauernd Wertvolles geschaffen werden
konnte. Immerhin war das der Zeitpunkt, wo der An-
schluß zwischen Kunst und Fabrikation hätte erreicht
werden können. Die Revolution, die bildungsfreundliche,
hat diesen Anschluß schnell wieder vernichtet. Wo ist
nun also auch das Möbel, das man mit einiger Gewißheit
auf Erfolg in Skandinavien anbieten könnte?

Die Leipziger Mustermesse des Wirtschaftsbundes
deutscher Kunstgewerbler! Sie hat sogar eine gute Presse
gehabt. Aber glaubt man wirklich mit den meistens herzlich
unbrauchbaren Gegenständen junger Kunstgewerblerinnen
den Weltmarkt erobern zu können?

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