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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Juniheft
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Pazaurek, Gustav Edmund: Ästhetik der Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0406

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nisse und Wünsche kennen gelernt und ihnen durch
zielbewußtes Zuendedenken einschneidender Fragen
wertvolle Anregungen für ihr Weiterschaffen zu geben
vermag.

Schon die Einleitung fesselt. Hildebrandts feine
Analysen und Bemerkungen über das Kunstwerk im all-
gemeinen, über materiellen und ideellen Zweck, über
Form und Formgestaltung, die Gegenüberstellung zu
anderen Berufen der Phantasie, wie Religion oder Philo-
sophie, über wirkliche und vorgestellte Harmonie, über
den Reiz ohne Ordnung in der Natur, dem die Ordnung
ohne Reiz beim Menschen entgegengehalten wird, welche
Gegensätze sich gerade im Kunstwerk vereinen, über die
Gesetzmäßigkeit, durch die die Freiheit nicht aufgehoben
werden darf, und manches andere läßt uns bedauern,
daß der Verfasser keine Gelegenheit hat, alle diese und
ähnliche Gedanken auf den verschiedensten Kunstgebieten
weiterzuspinnen und uns eine allgemeine Ästhetik zu
schenken. Aber er will sich ja nur auf die Wandmalerei
beschränken und gliedert den ohnehin schier unabseh-
baren Stoff demgemäß in wohlgeordnete Abschnitte, die
sich mit den Elementen und dem Wesen der Wand-
malerei, also zunächst mit dem Verhältnis von Wand-
gemälde zum Tafelbild, mit deren Elementen des Bildes
und der Wand, wie mit der Vereinigung derselben be-
schäftigen, um dann in dem zweiten, größeren Abschnitt
die geistige Angliederung des Wandgemäldes, die Ein-
gliederung in das Formgefüge des Bauwerkes, die räum-
liche Wirkungsrolle der Wandmalerei, die Decken- und
Gewölbemalereien und die Fassadenmalerei nach allen
Seiten zu erörtern. Schließlich werden noch die ver-
schiedenen Malereitechniken behandelt und die angren-
zenden kunstgewerblichen Flächenkünste, Mosaik, Sgraffitto
und Fliesenbild, Glasmalerei, Intarsia und Textilien, so-
weit sie für die Wandbespannung oder Wandverkleidung
in Frage kommen, ebenfalls nicht vergessen

Es ist schwer, hier das eine oder das andere Kapitel,
das besonders gelungen erscheint, herauszugreifen, etwa
über Linie und Flächenform, Hell- und Dunkel-Gehalt
im Gegensatz zu den Farbenwerten, oder aber über Bin-
dung, Zerlegung, Wiederholung, Rhythmus, Gleichgewicht

oder Symetrie, über die vielfachen Gestaltungen und
Gliederungen der verschiedenen Wände, Decken oder
Gewölbe oder über perspektivische und illusionistische
Probleme. Überall verbindet sich liebevolle Beobachtung,
die an der Hand gut gewählter Beispiele das Wesent-
liche herauszuschälen weiß, mit der unaufdringlichen
Absicht, dem Kunstjünger die Wege zu ebnen und ihm
aus dem Dickicht riesiger Fragenkomplexe nach Tunlich-
keit zur Klarheit in den Begriffen zu verhelfen. Diesem
Zwecke dienen auch vor allem die vielen, mühsamen,
aber rasch orientierenden Hilfszeichnungen des Verfassers,
die mit den charakteristischsten Abbildungen von Kunst-
werken aller Zeiten und Völker erfolgreich abwechseln.
Über einzelne Stellen ließe sich vielleicht streiten,
manches macht auch den Eindruck des Kompilatorischen, —
aber was besagt das im Verhältnis zum großen Wurf
des Gesamtwerkes, das uns so viel sorgfältig Durch-
dachtes zu bieten vermag.

Eine imponierende Literaturschau, die von A. Dürer
oder Leonardo, über Winkelmann oder Kant bis zu
Hausenstein, Kandinsky oder Worringer leitet, schließt
das elegant und leicht verständlich geschriebene Werk
ab, das den Verfasser mit einem Schlage in die vorderste
Reihe unserer verdienstlichsten Ästhetiker stellt. Die
allgemeine Aufmerksamkeit, die dieser Band ohne Zweifel
in allen Kunstkreisen finden wird, dürfte Dr. Hildebrandt
hoffentlich veranlassen, das, worauf uns schon seine
Einleitung Appetit gemacht hat, weiter zu verfolgen und
uns, wenn auch nicht gleich eine bändereiche allgemeine
Ästhetik, so doch wenigstens eine ähnlich umfassende
Erörterung einzelner Hauptfragen zu schenken. Nament-
lich das große und schöne Kapitel aller Farbenfragen
wäre ein besonders dankbares Operationsfeld, zumal ja
die wissenschaftlich gründliche, aber künstlerisch unzu-
längliche Betrachtungsweise eines Ostwald nach einer
solchen Ergänzung geradezu schreit. Wir wollen hoffen,
daß sich Hans Hildebrandt, der schon in diesem Bande
den Farbenfragen viel Interesse entgegengebracht
hat, in nicht zu ferner Zeit dazu entschließen werde,
der Farbe sein nächstes großangelegtes Werk zu
widmen.

Hans Sebald Beham,

Maria mit Kind auf dem Halbmond.

C. G. Boerner, Leipzig.

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