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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Aprilheft
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Meder, Joseph: Dürer-Kopisten und Dürer-Kopien
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0435

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delten. Besonders gesucht waren die Kopien nach der
Stich-Passion. Wir zählen nicht weniger als 18 ver-
schiedene, mehr oder weniger vollständige Serien,
original- und gegenseitig, gestochen und geschnitten,
die mit Text versehen, als Andachtsbüchlein ausge-
geben wurden. So erschien um 1611 die Ausgabe einer
Passio Christi von Wilhelm de Haen, die wieder 1680
bei Wilhelm Frieß jun. in Köln eine Kopierung erfuhr,
zu der I. Goosen und D. G. Stempelius die Kupfer lie-
ferten. Anderseits übertrug man die Stichpassion auf
Holzstöcke, sowie man das große und kleine Leiden
Christi. die der Meister in Holzschnitt ausgegeben hatte,
wiederum auf die Kupferplatten übertrug.

Nicht geschäftlichen Lfrsprungs waren jene Nach-
stiche, die vom Standpunkte des Studiums und der
Bravour unternommen wurden, die als uniibertroffen
geltende Griffelkunst Dürers bis zur Täuschung anzu-
streben. Aber nur ganz auserlesene Talente oblagen
diesem Vorhaben mit Erfolg, wie der Wunderknabe
J a n W i e r i x (1549—1615), der mit 12 Jahren den
Schmerzensmann ,(B. 20) und St. Sebastian (B. 55), mit
15 das Schweißtuch von zwei Engeln gehalten, Maria
mit der Sternenkrone und Ritter, Tod und Teufel glän-
zend kopierte. Sein Hauptblatt, die Melancholie, fällt
allerdings erst in seine fiinfziger Jahre. Seiner außer-
ordentlichen Begabung bewußt, setzt er gewissermaßen
als Signatur das eigene Lebensjahr auf die Platte. Er
hatte zwei Nachfolger, gleichfalls friihe Talente, die
Monogrammisten P. I. V. D. 1577, der als fiinfzehnjäh-
riger, und P. M. 1577, der als siebzehnjähriger zu bril-
liern versuchte. Aber trotz der eigenartigen Signatur
des I. Wierix verfielen seine Platten der Spekulation,
einmal daß sie von dem Verleger J. C. Visscher bis zum
Verbrauch ausgenutzt, dann aber, daß besonders gute
Abziige, als Originale ausgeboten wurden, indem man
die kleine Wierix-Signatur mit dem Radiermesser be-
seitigte, oder, wenn sie unter dem Rande stand, regel-
mäßig abschnitt.

Damit sind wir bei der Fälschung oder rich-
tiger Verfälschung angelangt, die mit großen
Namen allzeit Unfug zu treiben bereit war. Werke
jeder Art, sobald sie Dürers Schulkreis angehörten,
mußten dies erfahren. Selbst in der Imhof - Familie
vollzogen sich derartige Umtaufen. Hans Hieronymus
Imhof notiert in sein „Geheimbüchlein“ (Nürnberger
Stadtbibliothek): „Ein Marienbild auf Holz, von Öl-
farben, mein Vater selig hat das Albrecht Dürerszeichen
darunter malen lassen, man hat aber nicht eigentlich
dafiir halten können, daß es A. Diirer gemalt hat“. Ö
Viel häufiger noch vollzog sich dieser Mißbrauch auch
auf Zeichnungskopien oder auch auf Originalentwiirfen
anderer deutscher Meister. Das Diirer-Monogramm,
allgemein bekannt wie kaum ein anderes, hatte etwas
Bestechendes und förderte die Kauflust,

Besonders geeignet hierzu waren die Holzstöcke
von Kiinstlern aus dem Diirerkreis, die, ob mit oder

3) Thausing I, 189.

ohne Signatur, Veranlassung zu diesen Prozeduren
boten. Bald setzte man frisch geschnittene Diirer-
zeichen kunstgerecht in die Holzplatte ein und lieferte
dann täuschende Abdrucke, bald schuf man sich
Stempel, mit denen man Diirers Monogramm aufdruckte,
bald zeichnete man dasselbe kurzerhand mit dem Pinsel
auf das Papier. Auf diese Weise sollten aus Diirer
nahestehenden Blättern, die vielfach aus uns unbe-
kannten Griinden ohne jede Signatur erschienen waren,
fiir den Sammler unzweideutige Originaldrucke werden,
die noch den Vorzug besaßen, sich in z w e i Zuständen,
vor und mit dem Monogramm, dem kaufenden Publikum
empfehlen zu können.

Schlimmer stellte sich der Fall, wenn alte, echte
Meistersignaturen, die noch in den ersten Abdriicken
nachweisbar erscheinen, wie z. B. in einem Blatte Wolf
Trauts (Dodgson I, 520 No. 13), aus späteren Abziigen
verschwanden. Infolge der durch Bartsch eingefiihrten
Zuschreibung gewisser Blätter an Diirer erhielten diese
von fremder Hand auch dessen Zeichen aufgestempelt,
so daß dadurch allmählich eine allgemeine Verwirrung
entstand, deren Folgen bis auf den heutigen Tag noch
nicht ausgetilgt werden konnten. Holzschnitte von
Baldung, Beham, Springinklee, E. Schön wurden mit
und ohne Zeichen dem Diirer-Werk einverleibt und erst
die moderne Kritik brachte mancherlei Richtigstel-
lungen zustande. Besonders verdanken wir den in
Deutschland und England emsig betriebenen Spezial-
forschungen eine Reihe von Aufstellungen für den einen
oder anderen Meister. Nichtsdestoweniger besteht noch
eine stattliche Anzahl von unbekannten oder als fiir
Diirer zweifelhaften Holzschnitten, die schon seinerzeit
Bartsch unter der Rubrik: A p p e n d i c e zusammen-
gefaßt hatte und die noch ihrer sicheren Zuschreibung
harren.

In dieser Überfiille endloser Vervielfältigung Dii-
rerischen Kunstgutes, in diesem Eitelnennen eines
großen Namens diirfen wir indes nicht die Auswirkung
eines selbstsiichtigen Krämergeistes oder das Empor-
kommenwollen kleiner graphischer Talente allein als
Hauptursachen erblicken. Wir miissen auch konsta-
tieren, daß mit der Reformation die kirchlich-deutsche
Kunst erlahmte, weil die Aufträge versiegten, daß der
dreißigjährige Krieg Deutschlands Kunstentwicklung
fiir lange Zeit unterbrach. Man klammerte sich mit allen
Fasern an den Ruhm des e i n e n Mannes und griff
in dem allgemeinen Bedürfnis nach religiösen Darstel-
lungen immer wieder nach seinen Werken, um sie,
wenn auch nur in Nachahmungen, dem deutschen
Volke zuzufiihren.

Es war ein Herüberretten des Besten, das uns das
16. Jahrhundert gegeben hatte, wohlgemeint, wenn
auch nur mit diirftigen Mitteln verabreicht. Und alle
Nachahmungen und Kopien erschienen wie hundert-
fältige, allüberall aufblitzende Reflexe eines großen
unter dem Horizont verschwundenen Lichtes. Dürer
und immer wieder Diirer!

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