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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 2 (Novemberheft 1930)
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Seifert, Friedrich: "Feinde Bismarcks"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0153

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Jch wage zu behaupten, daß die Religion der Klassiker in derjenigen Bismarcks ge-
nauer und echter wiederkehrte als in der für sie und gegen ihn optierenden Geschlechter
von 18^6—1928, und daß es eine durchaus erkennbare geistige Linie von Luther
über die Aufklärung und den Klassizisnuis zu Bismarck gibt."

In immer erneuten Erwägungen wird dieser, einer begrifflichen Erfassung nur fchwer
zugängliche, Zusammenhang umkreist. Es mag bezweifelt werden, ob das Wort
„Protestantismus" die der Quintessenz der Bismarckischen Weltanschauung völlig
gemäße Bezeichnung sei. Was Westphal mit diesem Begriff herausheben will, ist
freilich weniger ein konfessionelles Prinzip als vielmehr eine innerliche Bestimmung
allgemeineren Charakters, eine Gesinnung; ist jene dem Untergrund des religiösen Ge-
mütes korrespondierende Linie des Schafsens und Sichbestimmtfühlens, des Wirkens
und Hingegebenseins, in der sich — nach Bismarcks Worten — ein Rest des Glau-
bens der Väter und Großväter in verwandelter Gestalt verkörpere, unklarer und
doch wirksam, nicht mehr Glauben und doch Glauben. Die Fruchtbarkeit dieses Ge-
sichtspunktes: die Beheimatung des Bismarckischen Staatsbewußtseins in der deutsch-
„protestantischen" Welt, steht jedenfalls außer Zweifel. Von diesem Standort der
Betrachtung aus lassen sich viele der herkömmlichen Verzeichnungen an Bismarcks
Gesarntcharakter auf zwingende Weise berichtigen, namentlich die Legende von Bis-
marck als dem bloßen Realisten, Machthaber und Gewaltmenschen.

Es sind die schönsten und tiefsinnigsten Betrachtungen des Buches, in denen in enger
Beziehnng auf Bismarcks geistige Haltung versucht wird, das Verständnis für die
reale Möglichkeit einer Staatsgesinnung wiederzubeleben, die identisch ist mit der
„aus Religion geborenen Anerkennung des historischen Schicksals". Dieses Bewußt-
sein, das die Religion „nur mittelbar, nicht unmittelbar — protestantisch, nicht theo-
kratisch" in den staatlichen Ordnungen gegenwärtig und wirksam weiß, ist die Vor-
aussetzung für die Vereinigung jener Momente deS politischen LebenS, die
das nachbismarcksche Zeitalter fast nur noch als Gegensätze zu fassen wußte:
der Vereinigung von „Machtentwicklung mit Selbstbeschränkung, Souveränität mit
Enthaltsamkeit, Hegemonie mit Objektivität".

Im gleichen Sinne „protestantisch" kann auch die Grundhaltung genannt werden,
aus der Westphal in dem Schlußkapitel die Grundzüge seiner Staatsphilosophie ent-
wickelt. Eine Würdigung dieses an bedeutenden wie herausfordernden Gedanken
reichen Entwurfs ist im Rahmen dieser Ausführungen nicht mehr möglich. blm
ihres znin Teil prachtvoll unzeitgemäßen CharakterS willen verdiente gerade dieser
Schlußabschnitt viel gelesen zu werden. Die Hauptabsicht wenigstens, die diesen prin-
zipiellen Erörterungen zugrundeliegt, sei durch einige Sätze des BucheS wiederge-
geben: „Ich wollte dem Staate dadurch seine Würde zurückgeben, daß ich zeigte,
wie tief sich die Momente seiner Bewegung in die wissenschaftlich-künstlerische ein-
gelassen haben, wie genau selbst subtile wissenschaftliche und künstlerische Begrisfe
— ob nun mit subjektivem Bewußtsein oder nicht — jeweils auf den Zustand der
staatlich-gesellschaftlichen Dinge gemünzt waren ... Das »Zurück zum Staat«, und
zwar nicht zum »Notstaat«, nicht zum Staat als der »Natur- und Nachtseite« des
Lebens, sondern, wenn man so will, zum »Staat als Kunstwerk«, zum Staat jeden-
falls als Inhaber der Jdee der Behauptung des Endlichen, Zeitlichen in sich selbst,
zum Staat als demjenigen Faktor, in welchem sich darstellt, daß auch daS Pathos
für das Endliche, Zeitliche keine »bloße« Leidenschaft (Machtgier, Ehrgeiz usw.) be-
deutet, sondern der Idee ebenso zugeboren ist, wie das in Kunst und Wissenschaft
sich entfaltende PathoS für das Unendliche und Ewige: dieses »Zurück zum Staat«
wollte ich als den notwendigen Weg auch der Wissenschaft zu sich selbst erweisen,
einer Wissenschaft wenigstens, die ihre Autonomie behaupten, keine Hierarchie der
Werte, durch die die Kunst über fie zu stehen kommt, zugeben.. . will."

Friedrich Seifert

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