Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1931)
DOI Artikel:
Green, Julius: Überfahrt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0370

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
muß Bindungen eingehen, muß Freundschafien schließen. Wäre es auch nur,
um beim Landen alles wieder aufzugeben. Doch ist es nicht seltsam, daß man
nach fünf oder sechs Tagen Seefcchrt nur wenig an die Landung denkt und sie
fast ganz vergißt, je näher sie rückt? Die Eintöm'gkeLt der Reise kommt zum
Bewußtsein und mit ihr der ergentümliche Glaube, daß, was seit so vieleu
Stuuden dauert, niemals enden kann. Träte wenigstens eine Unterbrechung
ein, bemerkte man von fern eine Insel oder die äußerste SpiHe eines fremden
Erdteils! Nuchts aber stört die Unendlichkeit, die sich beim Erwachen, wäh-
rend der Mahlzeiten, den ganzen Tag über dem Lluge bietet. Nervösen
Menschen ist dieser älnblick Prüfung und fast Qual. So gibt es Geschöpfe,
die an Bord eines Schiffes nach ihresgleichen suchen, als wäre das ihr
einziges Heil. Selbst wenn sie ihresgleichen verachten oder hassen. Denn sie
wollen leben, wollen die nagende Langweile der Tage überdauern, wollen
dem Meer entkommen, dem Leviathan, der sie umlauert und schweigend
begleitet.

Erzählte ich, daß die „Bonne Esperance" von Frankreich nach Amerika fuhr?
Sie hatte die längste Route gewählt mit dem Kurs direkt auf Savannah.
Der Kapitän richtete sich darauf ein. Er war seit langem mit dem Meer
vertraut und half sich durch Gespräche mit den Leuten der BesaHung und,
wollte es der Zufall, durch solche mit Passagieren. Ein Passagier war ein
Glücksfall. Gleich vielen Durchschnittsmenschen, die etliche Romane gelesen
haben, rühmte sich der Kapitän dessen, was er Psychologie nannte. Es be-
lustigte ihn, die Menschen seiner Umgebung zu beobachten. Ich gehe nicht so
weit, zu sagen, daß er seine Beobachtungen schriftlich niederlegte, doch lag
das in seinem Charakter. Hatte er die nötigen Anordnungen getrosten, so
blieb ihm ein langer Tag, der ansgefüllt werden mußte. So sah er in dem
Passagier eine kostöare Zerstreuung. Er beglückwünschte sich, ihn an Bord
zu haben, wie ein Mathematiker sich vor einem knifsligen Problem die Hände
reibt. Bedachte er recht, so liebte er des Mannes kalte Höflichkeit, sein
Schweigen, das ihn zuerst gereizt hatte, nnd jene Zurückhaltung, die das
Sgiel verlängerte und es nur interessanter scheinen ließ.

Der Passagier jedoch schien entschlossen, sein Schweigen zu wahren. Es war
ersichtlich, daß die fragenden Blicke des Kapitäns ihm mißfielen. Auch daß die
Essensstunden ihn äußerst unangenehm dünkten. Doch mühte er sich, diese
Gefühle nicht merken zu lassen. Wäre der Kagitän ein ebenso guter Be-
obachter gewesen, als er es zu sein wähnte, so hätte er unfehlbar gemerkt,
daß der Reisende sich vor ihm fürchte. Er aber verfolgte eine andere Fährte
und glaubte einfach, einen eitlen Misanthrogen vor sich zu haben. Dieser Ent-
deckung froh, mühte er sich nun, geschickte Fragen zu stellen, die einerseits
der Eitelkeit des Passagiers schmeicheln und ihn anderseits zu Geständnissen
über sich selbst verleiten sollten. Doch diese Taktik schlug fehl, wie vorher
die jähe 2lrt des Kapitäns und seine unverblümten Fragen fehlgeschlagen
waren. Der Passagier verriet nichts. Wenn jedoch der Kapitän zu dringend
wurde, so senkte er ein wenig den Kopf, als beuge er sich vor einem Windstoß.
Rkun war der Himmel klar und die „Bonne Esperanee" schien rascher hinzu-
gleiten. Weich war die Luft. Stille herrschte, kaum unterbrochen vom Mur-
meln der Wogen. Der Passagier jedoch kam nicht aus seiner Kajüte. sskur

316
 
Annotationen