Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1931)
DOI Artikel:
Green, Julius: Überfahrt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0371

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
dort schien er Ruhe zu finden. FasL als habe er außerhalb des kleinen Raumes
alles zu fürchten und als sei jenseiks der Tür sein Leben in Gefahr. Zuweilen
sahen die MaLrosen, die auf Deck umhergingen, ein weißes GesichL ungewissen
Blicks aus einer Luke schauen nnd alsbald wie in plötzlichem Schreck wieder
verschwinden.

Das Schweigen des Passagiers bewirkLe, daß der Kapitän zunächst verdutzt
war. Er haLLe diesen Mann an seinen Tisch gebeLen, haLLe ossen miL ihm
gesprochen wie miL einem Frennd, einem alLen Frennd. Er haLLe ihm sogav
eLliche EinzelheiLen aus seinem Privatleben anverLrauL. Und was haLLe er
dafür erreichL? Rkichts. Gewiß ist es inLeressanL, nur dnrch BeobachLungs-
gabe und InLclligenz die Geheimnisse eines worLkargen Menschen zu ergrün-
den. Am Ende der driLLen Woche sedoch haLLe der KagiLän genug. Es lag
eLwas Abweisendes in dem morosen AnLlitz des Passagiers, und sein Schwei-
gen inLeressierLe nichL mehr.

Die Reise neigLe sich dem Ende zu. Schon war eine Möwe als Künderin
nahenden Landes auf die Schiffsbrücke niedergesioßen und gleich daraus
in schwerem GleiLen wieder forLgeslogen. Als er eines Tages vom Tisch auf-
ßand, pflanzLe sich der KagiLän vor seinem Gaße aus, der seiL Beginn der
MahlzeiL kein WorL gesprochen haLLe. Er hob sich auf die Fnßspitzen und
sank auf die Fersen znrück.

„Hören Sie, wir landen übermorgen," sagLe er.

Der Mann hob den Kopf. Der strenge Blick des Kapitäns beunruhigte ihn
ossenbar. Er verzog ein wenig das GesichL, nahm den Zwicker ab nnd
entgegnete miL erloschener Stimme: „Ich weiß."

Er schien so niedergeschlagen, daß die GereizLheit des KapiLäns einer miL-
leidigen Regung wich.

„Es fehlL Ihnen doch nichts?" sragLe der Kapitän. „Sie sind doch nicht
krank?"

Der Mann schüLLelte den Kopf.

2lls er nach seiner KasüLe zurückging, beraubLe eine plötzliche Wendung des
Schisses ihn jeglicher Stütze und warf ihn gegen eines der BooLe an Deck.
Er machte eine krampfhasLe Bewegung und klammerte sich an das Takel-
werk. Ilnd er sah auf das Meer hinaus miL dem schreckersüllten Ausdruck
eines Menschen, der plötzlich gezwungen wird, dem Tod ins 2luge zu sehen.
„FürchLen Sie sich nicht," rief der KapiLän, der von weitem zusah. Dann
kam er und half ihm, in seine KajüLe zu kommen.,

Dieser Tag verging wie ein anderer. Mur fragLe der KapiLän weniger als
gewöhnlich. Er haLLe sich ossenbar miL einem Schweigen abgefunden, das
nichL zu durchdringen war, und, was ihm Ehre machte, er mühte sich sichtlich,
nun liebenswürdiger zu sein. War es, weil das Aussehen des Fremden ihm
MiLleid einflößte? Zuweilen musterte er ihn versiohlen und schüLLelte dann
den Kopf. Der Passagier aß fast nichts, saß fafi immer über seinen Teller
geneigt und rieb unaufhörlich miL der Handfläche seine Knie. Seine sorg-
fältige ärmliche Kleidung nnd sein HochgeknöpsLer ManLel gaben ihm das
Aussehen eines Schulmeisters.

Über nebligem, ruhigem Meer hob sich der letzte Morgen. 2lls sich die bei-
den Männer zum letzkenmal cinander gegenübersetzten, skrahlte die Sonne
 
Annotationen