II.
Der Roman, den Gerkrud von le Fort fünf Iahre fpäter erfchemen ließ, „D atz
Schweißtuch der Veronika"*, behandelt wiedernm basselbe Thema:
den Weg einer Seele durch die Kirche Zu Gott. Aber wie ganz anders nun als
dort! Das gewichtige Pathos sener zeitlosen Strophen ift verlasfen Zugunsten
der znrückhaltenderen, nüchterneren, mehr analytifchen Sprache, in welcher man
von Zeitgenössifchem berichtet. Aber diese Sprache ist, ohne alles Melodrama-
tische, ohne der Prosa und Realität irgend etwas schuldig zu bleiben, doch in
jedem Augenblicke durch und durch dichterisch und weiß, ohne aus dem Rahmen
zu fallen, aus ihrem eigensten Mutterschoße sich erhebend, der Höhepunkte der
Handlung mit großen Anstürmen sich zu bemächtigen. 2luch hier gipfelt die
Sprachgestaltung häufig in Bildern von stärkster Eindringlichkeit und oft hin-
reißender Schönheit, ohne daß diese im geringsten in das ruhige Fortwandern
des sehr sachgebundenen Berichtes eiue abrupte Gestelztheit brächten: die vom
Dichter zu leistende Verdeutlichung des feingesponnenen Geschehens scheint fie
von selber der Erzählung in den Mmnd zu legen. Es ist eiue fehr aristokratische
Sprache, das heißt: unter der schlichten, ungezwungenen Sachlichkeit von
höchster Geformtheit. Die ungezwungene Sachlichkeit zeigt fich auch darin,
daß die Form des Romans fast immer die einer Zustandsschilderung zu sein
scheink, deren Elemente sich leise verschieben, fo daß sich derart ein fast unmerk-
licher, doch unaufhörlicher und fehr weittragender Fortfluß des Geschehens er-
gibt. Das kleinste Motiv fördert den Ablaus, so daß im Grunde geradezu
alles Handlung und nichts bloßer Zustand ist. Dabei treten weuig abgerissene
Ereignisse herrisch in diesen Fluß ein, und doch bringt der nie stillstehende innere
Umsatz des Lebens, der die äußeren Dinge unaufhaltsam ändert, immer wieder
auch grundstürzende Dinge zutage. So ist der gauze Roman ohue sede Eintei-
lung hinerzählt, und doch, indem sich ein Umstand zart, aber unzerbrechlich an
den vorigen knüpft, entstehen tiefe Zäsuren, und indem sich Schilderungen, Be-
richte, Reflerionen auf das uatürlichste auseinander eutwickeln, häufen sie aus
scheinbar Kleinem das Große auf. Die Fäden der Verknichfung lausen wie
unabsichtlich, zufällig gleich eiuem Spiele, und doch weiß in ihnen eine eherne
Rkotwendigkeit Himmel und Erde zu bewegen.
Ilm ein Wort von dem inhaltlichen Hergang des Romans zu sagen, so hat auch
dieser, ohue sich gewaltsamen Ausbrüchen an den entscheidenden Punkten ganz
zu versagen, etwas aristokratisch Gedämpftes. Rlles Grobe, Massive, Faustdicke
fehlt, kann auch fehlen den Menschen dieser Geschichte gegenüber, zwischen denen
Andeutungen genügen, obwohl sie Lnnerlich und auch zwischen sich mit harten
und gewaltigen Dingen umgehen. Das Gute versteht sich bei ihnen nach M-
schers Wort sozusagen von selbst. Denn erst dann kann gezeigt werden — und
das ist, wenn man so will, etwas wie die Idee des Buches—,daß dieses Gute
etwas Unzulängliches ist; erst dieser Erweis bringt unwiderstehlich zur Religion
hin. Im einzelnen haben die Personen des Romans das Eigenartige, daß sie
größtenteils wiederum eine Teilidee vertreten und zur Darstellung bringen,
und zwar in einem vollständigen und systematischen Sinne. Trotzdem aber sind
sie weit entfernt von der blassen Allgemeinheit des Gedankens, die man an
ihnen vermuten könnte. Sondern es sind Gestalteu von einer Lebensgedräugt-
* Bei Kösel ^ Pustet, ^üünchen.
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Der Roman, den Gerkrud von le Fort fünf Iahre fpäter erfchemen ließ, „D atz
Schweißtuch der Veronika"*, behandelt wiedernm basselbe Thema:
den Weg einer Seele durch die Kirche Zu Gott. Aber wie ganz anders nun als
dort! Das gewichtige Pathos sener zeitlosen Strophen ift verlasfen Zugunsten
der znrückhaltenderen, nüchterneren, mehr analytifchen Sprache, in welcher man
von Zeitgenössifchem berichtet. Aber diese Sprache ist, ohne alles Melodrama-
tische, ohne der Prosa und Realität irgend etwas schuldig zu bleiben, doch in
jedem Augenblicke durch und durch dichterisch und weiß, ohne aus dem Rahmen
zu fallen, aus ihrem eigensten Mutterschoße sich erhebend, der Höhepunkte der
Handlung mit großen Anstürmen sich zu bemächtigen. 2luch hier gipfelt die
Sprachgestaltung häufig in Bildern von stärkster Eindringlichkeit und oft hin-
reißender Schönheit, ohne daß diese im geringsten in das ruhige Fortwandern
des sehr sachgebundenen Berichtes eiue abrupte Gestelztheit brächten: die vom
Dichter zu leistende Verdeutlichung des feingesponnenen Geschehens scheint fie
von selber der Erzählung in den Mmnd zu legen. Es ist eiue fehr aristokratische
Sprache, das heißt: unter der schlichten, ungezwungenen Sachlichkeit von
höchster Geformtheit. Die ungezwungene Sachlichkeit zeigt fich auch darin,
daß die Form des Romans fast immer die einer Zustandsschilderung zu sein
scheink, deren Elemente sich leise verschieben, fo daß sich derart ein fast unmerk-
licher, doch unaufhörlicher und fehr weittragender Fortfluß des Geschehens er-
gibt. Das kleinste Motiv fördert den Ablaus, so daß im Grunde geradezu
alles Handlung und nichts bloßer Zustand ist. Dabei treten weuig abgerissene
Ereignisse herrisch in diesen Fluß ein, und doch bringt der nie stillstehende innere
Umsatz des Lebens, der die äußeren Dinge unaufhaltsam ändert, immer wieder
auch grundstürzende Dinge zutage. So ist der gauze Roman ohue sede Eintei-
lung hinerzählt, und doch, indem sich ein Umstand zart, aber unzerbrechlich an
den vorigen knüpft, entstehen tiefe Zäsuren, und indem sich Schilderungen, Be-
richte, Reflerionen auf das uatürlichste auseinander eutwickeln, häufen sie aus
scheinbar Kleinem das Große auf. Die Fäden der Verknichfung lausen wie
unabsichtlich, zufällig gleich eiuem Spiele, und doch weiß in ihnen eine eherne
Rkotwendigkeit Himmel und Erde zu bewegen.
Ilm ein Wort von dem inhaltlichen Hergang des Romans zu sagen, so hat auch
dieser, ohue sich gewaltsamen Ausbrüchen an den entscheidenden Punkten ganz
zu versagen, etwas aristokratisch Gedämpftes. Rlles Grobe, Massive, Faustdicke
fehlt, kann auch fehlen den Menschen dieser Geschichte gegenüber, zwischen denen
Andeutungen genügen, obwohl sie Lnnerlich und auch zwischen sich mit harten
und gewaltigen Dingen umgehen. Das Gute versteht sich bei ihnen nach M-
schers Wort sozusagen von selbst. Denn erst dann kann gezeigt werden — und
das ist, wenn man so will, etwas wie die Idee des Buches—,daß dieses Gute
etwas Unzulängliches ist; erst dieser Erweis bringt unwiderstehlich zur Religion
hin. Im einzelnen haben die Personen des Romans das Eigenartige, daß sie
größtenteils wiederum eine Teilidee vertreten und zur Darstellung bringen,
und zwar in einem vollständigen und systematischen Sinne. Trotzdem aber sind
sie weit entfernt von der blassen Allgemeinheit des Gedankens, die man an
ihnen vermuten könnte. Sondern es sind Gestalteu von einer Lebensgedräugt-
* Bei Kösel ^ Pustet, ^üünchen.
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