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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 8 (Maiheft 1931)
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Walpole, Hugo: Junggesellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0584

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„Was wirsi du anfangen, mein Frennd, wenn es doch einmal geschiehL? Es
isi immer noch Zeit... ein netkes Leben wirsi du führen so allein —". Das
waren böse halbe Skunden, aber schließlich kroch das grinsende Ilngetüm doch
Lmmer wieder in seine Höhle zurück...

Nnd dann kam ein Nachmittag... Es war halb fünf an einem Spätherbsi-
kage, nnd die Glocken der Kathedrale läuteten schläfrig den Llbendgottesdiensi
ein. Robin siand am Fensier des kleinen Rauchzimmers, in dem sie den Tee
zu nehmen pflegten, und erwartete seinen Bruder. Es dämmerte schon; drüben
über der efeuumsponnenen Mauer färbte sich der blaue Abendhiminel allmäh-
lich safrangelb. Der Laternenanzünder zündete gerade die Lichter an; einzelne
Figürchen — zwei alte Damen, ein Domherr, ein Greis im Rollsiuhl — be-
wegten sich gemächlich, wie nach dem Takt einer getragenen Melodie, der Ka-
thedrale zu ...

Während er dem Klang der Glocken lauschte, wnrde er sich Lief innerlich be-
wnßt, wie enge er mit all den versiaubten kleinen Dingen in dem behaglichen
Raum verwachsen war — den alten verblichenen Photographien aus der Schnl-
zeit, den alten Büchern, den alten Mützen, die sein Bruder als Kapitän von
Sportteams getragen hatte... Der Teekessel summte, der Teekuchen duftete
warm nnd appetitlich, die ehrwürdige vergoldete Standuhr tickte, wie sie seit
einem Jahrhundert getickt hatte. Der Klang der Glocken war zu einem lang-
samen, monotonen „ei-ei-ei-l dich — ei-ei-ei-l dich — ei-ei-ei-l dich...." ge-
worden.... Ietzt ertönten Schritte auf dem holprigen Pflasier draußen, ein
Schlüssel wnrde umgedreht, dann trat sein Bruder ein.

„Stell dir nur vor, Harry," sagte Robin, sich dem Teekessel nähernd, „das
alte Fräulein Brandon isi schon aus London zurück. Ob sie wohl —"

„Du, Robin," Harrys Stimme klang vielleicht zum ersienmal in seinem Le-
ben nervös und befangen, „hör zu, alter Iunge — hm! Du kannsi mir gra-
tulieren. Ich — hm ja — also ich habe mich verlobt — mit Fräulein Pin-
selt. Sie — hm ja — hat heute nachmittag auf dem Golfylatz meinen An-
trag angenommen."

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Die Wochen, die nun folgten, waren schrecklicher, als Nobin Chandler es je
für möglich gehalten hatte.

Rkach allen Sciten hin mußte er falsch sein. Falsch gegen seinen Bruder, dem
gegenüber er so tnn mußte, als sei er froh und glücklich über das große Er-
eignis. Falsch gegen all die alten Damen von Polchesier, die herbeikamen,
um sich an dem Schmerz zn weiden, den die Berlobung seines Bruders ver-
ursachen mußte; vor allem aber falsch gegen das Mädchen, Irls Pinselt, die
Zuneigung und Schutz vor der ranhen Welt bei ihm suchte.

Die goldhaarige, zarte Iris Pinselt kam geradewegs aus der Schule. Ihr
Bater war seit sechs Monaten Direktor des Gefängnisses von Polchesier,
nnd während dieser sechs Monate hatte Iris ihre Zöyfe aufgesieckt und war
eine junge Dame geworden. Sie erschien Robin so sehr als Schulmädel, daß
ihm der Gedanke, daß sie irgend jemandes Frau sein könne, geradezu unmög-
lich erschien. 2llle Tage kam sie jetzt, lief durch das alte Haus, als gehöre es
ihr, zog sich vom ersien Augenblick an den erbitterten Haß der Haushälteritt
zu, setzte sich auf Harrys Knie, zuyfte Harry an den Haaren, knüyfte ihm

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