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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 3 (Dezemberheft 1930)
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Brock, Erich: Kleine Reise nach Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0201

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Element für sich vermochte die GoLik nichL zu erzeugen. Es gehörLe dazu wohl
die innere Spannung zum Romanischen, welches Lockerung und Zwang zum
Abschluß auferlegLe. Frankreich besaß damals noch eine solche Spannung,
die unendlich fruchLbare PolariLäL seines Nordens und Südens. Und doch
haLLe es bereiLs das spezifische GesichL seiner EinheiL, seiner naLionalen KulLur.
Welche FormschönheiL und AnmuL in seineu Madonnen und Heiligen, die gegen
Ende des MiLLelalLers schon in eine eLwas äußerliche und kalLe Eleganz über-
gehL! Welcher SchriLL eLwa zu der elsässischen spätgoLischen Holzmadonna im
Andre-Beauneveu-Saal des Louvre, die man sorglich unLer französische Kunst
gesteckt haL, und die doch, wie Odysseus den Achill unter den Mädchen, unser
Herz ohne Zögern herauskennL an ihrer — BefaugenheiL, ja an Lhrer Sgieß-
bürgerlichkeiL, aber auch an ihrer göLLlichen Wärme und müLLerlichen InnigkeiL.
Allein auf der H öh e dieser ZeiL haL die EnLwicklung einsi Zusammengehöriges
noch nichL auseinanderLreLeu lassen und die Völker noch nichL auf deu mühseligen
Weg gesandL, alleiu ein Ganzes zu werden — der sie doch wieder zusammen-
führen muß. Die Höhe: das ist CharLres, und nichLs anderes. Zwar weniger
das Äußere; obschon die gewaltige Wildnis der Bogeu und Pfeiler, der uuter-
feHLe romanische Turm mit seinem urtümlichen Rundbogen und die leichte
ÜypigkeiL des gotischen an sich bedeutenden Rang behaupten. Sondern das
Innere; und vor allem die gotischen Bildwerke der SeitenLore.

Es ist schon viel zum Preise dieser GestalLen gesagL worden — zu viel; denn
heute sind sie Mode geworden und werdeu damiL auf die Dauer unweigerlich
ihren Schmelz verlieren. Worin bestehL dieser nun, woriu die unverwechselbare
EinzigkeiL dieser erlauchLen Bersammlung von Aposteln, Heiligen und Bischö-
fen? Man könnte vielleichL sagen: es ist hier eine Einheit des Ilnendlichen und
Endlichen erreichL, in welcher das Unendliche ganz und in allen Tiefen herrschL,
und doch gerade darin das seiner selbst vergessene Endliche einen ungeahntcn
Bestand gewinnL und in eine freie, süße und gewaltige Schönheit ausbrichL,
welche derjenigen der größten Bildwerke des griechischen AlterLums glejchkommL.
Man haL iu den leHLen IahrzehnLen in DeuLschland aus begreiflicher Wieder-
entdeckungsfreude der miLLelalterlichen Bildnerei allzu sehr aufs WorL geglaubt,
jede IlnbeholfenheiL als InnerlichkeiL ausgelegL, ohne nach deren positivem
Borhandensein zu fragen. Hier sind solche Äbstriche nicht nötig. Wie diese
Menschen, vom Geiste mächtig angerührL, aus dem strengen Dienste an diesem
GotLeshause in die EwigkeiL hinüber blühen, und wie dies nun alle Dinge, ob-
schou ihrer kaum noch bedurfL wird, erlöst, beschwingL und adelt! Das GöLL-
liche umspült sie wie eine Flut, wie ein Sturmwind, der zum sanften Säuseln
geworden ist, und ihre Nüstern blähen sich LraumhafL wiLLernd ihm entgegen,
während die Augen in einer nordischen FremdheiL scheu und ohne Verständiguug
über die Dinge der WirklichkeiL hinausschweifen. Das GöLLliche ist hier mensch-
lich geworden, und damiL das Reenschliche göLLlich. Die Hierarchie haL sich bis
zu Ende durchgeseHL, das DiesseiLige ist sich selbst ins IenseiLige ganz entschwun-
den, und damiL ist seine HerrlichkeiL ostenbar geworden.

KärmLen wir den, dem dies steingewordene GesichL beigefallen, so häLLe Frank-
reich dem höchsten Kreise der menschlichen Namen einen beizufügen, den es später
in seiner selbstgewählten Beschränkung nichL mehr zeitigen konnte. Und das
heutige? Es fährL miL Donnerfahrzeugen über die KaLhedrale her durch die
 
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