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Südwestdeutsche Rundschau: Halbmonatsschrift für deutsche Art und Kunst — 1.1901

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Ritter, Hermann: Erinnerungen an Bayreuth und Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.12765#0597

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rjöcrjfter ©rbauung angefe^cn werben. Sßagner's Äunft if± fo redjt
eigentlich, eine ©cfjroefter ber Religion, eine Deuterin be§ göttlichen
äöefens in uns. SBagner's ©eftalten nnb Vorgänge, roetcrje mix
von ber 23ürjne fjerab erfdmuen, ftnb ®leid)niffe, cerrorperte $been
ber SRenjrf)t)eit. £>arum ift aud) Sßagner's Sweater feine Söüfyne
im gen)öi)nlid)en (Sinne, fonbern ein Tempel.

@o ift Stidjarb SOßagner ot)ne ßmeifel eine ber fuggeftioeftcn
(£rf(Meinungen im ©eiftesleben bes 19. $arjrf)unberts. ©r wollte
bie ßunft in engfte SBejtetjung §ur Religion bringen, gleicfjtüie es
bei ben ©riechen ber $all mar. SBagner mar beftrebt, ben $ern
ber Religion §u retten, ba er fal), bafj bei ben meiften SJlenfdjen
feiner $dt ber Rammet entgöttert mar, nadjbem bie 9Jlenfcf)en
guuor bie Statur entgöttert tjatten. s331it £ntlfe ber Hunft fetzte
20agner bie SDlenfcfyen mieber in 53egiet)ung jur Religion; beibe
$af'toren roerben üEßagner nid)t Sad)e bes üBerftanbe§, fonbern
bes ©emüts. SDarum ift es and) nid)t nötig, um äöagner §u oer-
ftebjen, 93cufifer ^u fein. Gin aufnahmefähiger 9Jlenfd), bem bie
t)öd)ften $beale ber 9Jlenfd)beit nic£)t als 2)unft gelten, ift im
©taube bas Sßagner'fcrje Äunftmerf ju genießen. Sßagner felbft
äußerte einmal: „9Jiir ftnb biejenigen äftenfcfyen am liebften, bie
gar nid)t miffen, ba|3 bie flöten auf fünf Sinien gefdjrieben
m erben."

SBagner erhoffte oon bem transcenbentalen ^bealismus eine
Degeneration, eine neue Kultur ber heutigen, nad) feiner 2Infid)t
entarteten 9)tenfd)f)eit. ^ntereffant ift es, ben 9Mfter oon 33ap;
reutfj in SSergleid) 311 ben brei großen ^enfdflieitsteljrern s3cie^fd)e,
Stolftoj unb $bfen §u bringen. Söagner's ©emeinfame mit
9Tiet}fd)e ift bie Ueberroinbung bes s$effimismus, ben mir über bie
2Belt empfinben. s31ur nerfd)ieben beuten beibe biefetbe. Sßagner
überrainbet benfelben burd) transcenbentalen ^jbeatismus, üliet^fcfje
burd) rücffid)tslofes Slusteben bes ^nbbibuums. SBagner prebigt:
„Sterbet meid)! £abt SJatleib!" sJae^fd)e fagt: „Söerbet f)art!"
SBagner's ©emeinfame mit Solftoj ift bas Dücfgreifen auf bas
ß^riftentum. $n 53e«mg auf £tunftanfd)auungen gef)en febod) 93eibe
auseinanber, mie uns bies bas $md) „lieber bie $unft" oon
Sotftoj feb,r balb letjrt. ®as, roas Sßagner mit Qbfen in feiner
9Jlenfcf)f)ett§let)re gemein b,at, ift ber ©runbfat^: bie ed)te roeiblidje .
3mgenb bes SJcitleibs, ber Dpferfreubigfeit füf)rt ben äftenfcfjen
feiner ibeaten SSoIlfommenfyeit entgegen. 2lud) bas $beal roelcrjes

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