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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 9.1909/​1910

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Schmidkunz, Hans: Geber und Nehmer der Kunstbildung, 4
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Schriftleitung der W. d. K.: Bilanz, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.52069#0500

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Die Werkstatt der Kunst.

Heft 36.


Die zuletzt angedeutete Materie drängt zu einer Lehre
von Gattungen und Arten und von Typen. Es ist, wie
es sonst auf naturwissenschaftlichem und auf geisteswissen-
schaftlichem Gebiet ist. Wir haben erstens damit zu tun,
daß niemals ein individueller Fall dem anderen völlig gleich
ist. Kein Lehrer lehrt wie der andere, kein Student studiert
wie der andere. Beachtet man dies genau, dann kann man
sich auch zweitens nicht mehr daran klammern, daß kein
Fach s o gelehrt und gelernt wird, wie das andere; dann
muß man sich sagen, daß wir überhaupt immer nur mit
teilweis Gleichem und teilweis Unähnlichem zu tun haben;
dann muß man aber auch erkennen, daß dieses „teilweis"
sich durch die Erscheinungen gewisser Typen u. dgl. regu-
liert. Es gruppiert sich Verwandtes zueinander. Kurz,
wir verlangen eine akademisch-pädagogische Typenlehre.
Typus der Vorlesung, der Uebung, der Werkstattarbeit usw.;
Typen also, von denen der einzelne auch Tätigkeiten in
sich saßt, die sonst sehr verschieden — gänzlich unvergleich-
bar — zu sein scheinen.
weiterhin ist nicht zu vergessen, daß die Hochschul-
pädagogik als Ganzes Hilssfächer hat, die zunächst unab-
hängig von den einzelnen Fächern aufzustellen sind. (Vgl.
„Einleitung", Abschnitt VII.) Hierher gehört vor allem die
psychologische Erkenntnis des Iugendalters. Der 20jährige
Jüngling ist nun einmal der und der, unabhängig davon,
ob er Philologie oder Malerei studiert. Erst nach Erkennt-
nis dessen können wir die Verschiedenheiten erkennen, die
sich durch differente Anlagen und Erwerbungen ergeben.
Dazu kommen dann Geschichte, Geographie und Statistik
unseres Gebietes, die geradeso, wie anderswo, allgemeine
und spezielle Behandlungen möglich und notwendig machen.
Man hat andererseits geklagt, daß durch Aufstellung
eines eigenen Gebietes der Hochschulpädagogik nur wieder
die ohnehin schon schlimme Spezialisierung und Zersplitte-
rung vermehrt werde; und es sollte lieber alles Schul- und
Erziehungswesen als Eines behandelt werden. Also die
der vorigen entgegengesetzte Befehdung! Fragt sich min-
destens, ob auf diesem Wege das nun einmal vorhandene
und zur Bearbeitung drängende Teilgebiet auch wirklich
das Seinige finden und nicht vielmehr wiederum ver-
kümmern würde.
Den Extremen gegenüber setzen wir unbekümmert unser
Interesse sowohl sür das Gleiche wie auch für das Un-
gleiche fort. Haben wir heute bisher jenes bevorzugt, so
sei noch dieses kurz berücksichtigt. Also neben dem Kon-
stanten das Variante. So wie die Pädagogik unterer
Stufen nicht ohne weiteres auf hohe Stufen übertragen
werden kann — trotz des positiv und negativ Lehrreichen,
das sie sür diese darbietet: ebenso kann nicht Wissenschafts-
pädagogik schlechtweg auf Kunstpädagogik übertragen
werden. Ebenso aber auch nicht die der Philologie auf die
der Medizin; ebenso nicht die der Tonkunst auf die der
Bildkunst; ebenso nicht die der Malerei auf die der Plastik usw.
Uns interessieren hier vor allem die Differenzen zwischen
jeglicher Wissenschafts- und jeglicher Kunstpädagogik. Jene
zielt mehr auf ein Erkennen, diese mehr auf ein Handeln
ab. Das Erkennen beruht auf dem Verhältnisse der Gründe
zu den Folgen oder Folgerungen, das Handeln auf dem
der Mittel zu den Zwecken. Dieser Gegensatz greift tief
in den Alltag des einen und des anderen Lehrens ein; tut
er es nicht, fo wird gepfufcht.
Daraus ergibt sich auf der einen Seite das verstandes-
mäßige, speziell das Diskursive, auf der anderen Seite das
Willens- und phantasiemäßige, speziell das Intuitive. Dort
darf man nicht „raten", muß vielmehr „wissen", hier kann
das „Raten" zum „Schaffen" sehr wohl beitragen. Dort
mehr Schritt sür Schritt und zureichende Vorbereitung, hier
mehr die Geistesgegenwart, die auch Unvorbereitetem stand-
hält. Dort der Vorteil eines streng systematischen, zumal
eines synthetischen Weges von den Elementen aufwärts;
hier andere Vorteile.
Auch das Lebensalter des Wissenschaftsjüngers fällt
wohl nicht ganz mit dem des Kunstjüngers zusammen.
Dies schon deshalb nicht, weil dieser bereits in einem

früheren Lebensalter auf das Seinige, das ja mehr körper-
liche Geschicklichkeiten verlangt, lossteuern muß. Und dazu
noch die Talentfrage, die ja — mit Recht oder Unrecht —
im Kunststudium eine beträchtlichere Rolle spielt, als im
Wissenschaftsstudium, (vgl. des Verfassers „Talent sür
Wissenschaft und Kunst" im „Schulblatt der Provinz
Sachsen", Magdeburg, ;5., 22. und 29. September ^909,
XVVIII/z?-39.)
Zum Schluffe sei noch als Beleg für das Letzterwähnte
eine Stelle aus einem mit dem Werdegange von Künstlern
wohlvertrauten Autor angeführt. Alfred Lichtwark erzählt
in seiner Biographie des „hamburgischen Nazareners"
Julius Gldach (Hamburg ^899, S. 19s.) von dem Empor-
streben der jungen Hamburger Künstler in den ;820 er Jahren:
Diese Frühreife ist heute „sehr selten, schon weil die
technische Erziehung so spät einsetzt. In den höheren
Ständen gilt es als Regel, daß der für die bildende Kunst
Begabte der Sicherheit halber erst das Gymnasium durch-
machen muß, ehe er gründlich in die Technik eingeführt
wird. Daß junge Künstler erst mit 20 Jahren ernsthaft
zu zeichnen anfangen, gilt nicht als zu spät. In Wirk-
lichkeit" müßte jedoch die künstlerische Erziehung dann schon
im wesentlichen vollendet sein." „Das konnte in der bilden-
den Kunst nur deshalb in Vergessenheit geraten, weil ein
Menschenalter hindurch in Deutschland die künstlerische
Technik als Nebensache angesehen wurde."
„Auch in bezug auf die Auslese der Talente lagen
damals die Bedingungen anders als heute." „Nur der
unbezwingbare Drang konnte sich damals durchsetzen. Das
ist heute durch Stipendien und Schulen anders geworden.
Das Künstlertum gehört gewissermaßen zu den Brotstudien.
Der bescheidensten und zweifelhaftesten Anlage stehen Tür
und Tor offen, und es ist so vieles an der Kunst scheinbar
durch bloßen Fleiß zu erreichen, fremde künstlerische Ge-
danken lassen sich so leicht umwandeln und neu einkleiden,
daß eine Art breiter Scheinproduktion entstehen konnte, die
mit der Kunst nur den Namen gemein hat. Das Aus-
stellungswesen, heute eine wirkliche Landplage und eine
der schwersten Gefahren für die stetige Entwickelung selbst
der größten Begabungen, war damals noch in den ersten
unschuldigen Anfängen der Entwickelung begriffen."
SttLNZ. II
Auf den in unserer Nummer 33 erschienenen
Artikel „Bilanz" von Leo Kober-Berlin sind der
Redaktion viele Zuschriften aus den Kreisen der
Künstler und auch des Publikums zugegangen, die
teils für, teils gegen die vom Verfasser angeregten
Bestrebungen Stellung nehmen, von einigen Künst-
lern sind diese Bestrebungen völlig mißverstanden
worden. Ls sei daher hier noch nochmals betont,
daß die in Frage stehende Absicht dahin zielen soll,
es den großen Schichten im Publikum zu ermöglichen,
für erschwingliche Preise, die auch der Minder-
bemittelte aus dem Bürgerstande zu leisten in der
Lage ist, gute, wirklich gute Kunstwerke zu kaufen.
Ls ist selbstverständlich, daß die Verwirklichung der
von Leo Kober angeregten Ziele in erster Linie
jungen und unbekannten Künstlern Verkaufs-
möglichkeiten schaffen soll, da es ja in der Natur
der Sache liegt, daß hier an eine Verallgemeinerung
nicht im Entferntesten gedacht werden kann, bver
ohnedies „gut im Preise steht", von dem ist natürlich
nicht zu verlangen, daß er sich dieser Bewegung
anschließe; auch muß hier betont werden, daß es
sich nicht um Kunstwerke handeln kann und soll, die
als wichtige Dokumente des Talentes nach langer,
 
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