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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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3. Heft
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Boeheim, Wendelin: Studie über die Entwicklung des Geschützwesens in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0067

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Studie über die Entwicklung des Geschützwesens in Deutschland.
Von Wendelin Boeheim.

Man ist in militärischen Fachkreisen noch der
Ansicht, dass der Fortschritt in der Artillerie, nur in
allerneuester Zeit ein so rasches Tempo angenommen
habe, und dass das ganze Geschützwesen vor dem
XVIII. Jahrhundert, wenn nicht stationär geblieben sei,
doch nur unwesentliche technische Errungenschaften
zu verzeichnen habe. Diese völlig ins Blut gedrun-
gene Ansicht, hervorgegangen aus dem weit lebhaf-
teren Eindrücke des Gegenwärtigen und aus der
Wirkung des Ueberraschenden, das jedem Neuen
anhaftet, ist aber völlig irrig, und man darf nur die
Periode der Reformen Kaiser Maximilians I. von
1490 bis 1519 in der Nähe betrachten, so ersieht
man zu seinem Erstaunen, dass der Fortschritt im
Geschützwesen und der Ausrüstung ein geradezu
fabelhaft rascher gewesen ist. Wenn der Kaiser
seine genialen Reformen im gesammten Artillerie-
Zeugwesen in Tirol begann, so waren da politische
und strategische Umstände ausschlaggebend und bei-
leibe keine technischen, denn er fand auch dort keine
Einrichtungen vor, welche geeignet gewesen wären,
um, an sie anschliessend, weiter bauen zu können.
Maximilians System war ein vollständiger Neubau
nach einem tiefdurchdachten Plane.
Zwar war schon Herzog Friedrich mit der leeren
Tasche ein eifriger Förderer seines Geschützwesens,
ja er war einer der Ersten, welcher gegossene Ge-
schütze schwerster Gattung, sogenannte «Haupt-
stücke», erzeugen Hess. Sein sonstiger Vorrath be-
stand aber aus einer grossen Zahl schmiedeiserner
Rohre der verschiedensten Grössen, die in ihrem
Verhältnisse gar keinem System folgten und nur
handwerksmässig roh, nach dem äusseren Ansehen
in Hauptstücke, Schlangen, Haufnitzen und Stein-
büchsen (jPumharts) unterschieden wurden.
Sein Nachfolger Erzherzog Sigmund der Münz-
reiche setzte das Werk mit nicht geringerem Eifer
fort und richtete seine Aufmerksamkeit, vorzüglich
auf die Erzeugung von Bronzegeschützen schwerster
Gattung, von denen er sich grosse Wirkung versprach.
Sein Gussmeister Linhart Peringer vermochte ihm
da nicht Genüge zu thun; so entstand ein Park von
Riesengeschützen, die mehr eine Augenweide boten,
als praktische Verwendbarkeit besassen. Waren die
Hauptstücke Friedrichs noch ohne jede Lafetteneinrich-
tung und nur bestimmt, zur Hälfte in den Boden
eingegraben in Verwendung zu gelangen, so traten
unter Sigmund, von Italien angeregt, Versuche auf, die

leichteren Rohre in schwere Holzblöcke zur Hälfte
einzulassen. Damit entstand die «Lade», und um zu
verhindern, dass das Rohr aus selber beim Schüsse
herausgeschleudert wurde, versah man erstere mit
vier seitlich angeordneten Zapfen (Schildzapfen'). Das
waren die ersten Anfänge der Lafette. Die kleineren
Geschütze, theilweise schon in Bronze gegossen, er-
hielten, wenn sie zum Werfen dienten, ähnliche
Laden, in welchen die Rohre aber mit Eisenreifen
befestigt wurden. In den Grössenverhältnissen zuein-
ander herrschte allerdings noch die alte Systemlosig-
keit, aber in Italien, namentlich in Venedig, Genua,
Pisa, Florenz und Mailand, hatten sich, ein jeder der
Kleinstaaten für sich, mittlerweile gewisse feste Be-
zeichnungen für bestimmte Rohrgrqssenl) gebildet,
und es entstand dort zuerst das auf Erfahrung ge-
gründete Streben, die Rohre zu erleichtern und bei
gleicher Wirkung beweglich zu gestalten. Diese
Wahrnehmung in den .Kriegen mit den Venezianern
und Mailändern konnte nicht ohne Wirkung auf die
Deutschen bleiben; auch sie waren gezwungen, auf
eine Erleichterung ihrer Geschütze zu denken, und
da trat -von 1490 an Kaiser Maximilian I. in der
völligen Umgestaltung des deutschen Geschützwesens
bahnbrechend voran; aber so rasch folgten sich die
Verbesserungen, dass sein System wenige Jahre nach
seinem Ableben durch die genialen Gedanken anderer
Meister weit überholt wurde.
Schon die Reformen Maximilians, durchgeführt
unter der Leitung seines Hauszeugmeisters Bartho-
lomäus Freysleben, erschienen seinen Zeitgenossen
grossartig und alles Vorhandene weit hinter sich
lassend. Maximilian verfolgte aufmerksam alle Ver-
besserungen im Auslande, ergriff' energisch das ihm
als das Beste Erscheinende und staltete es in seiner
Weise um. Er war der Erste, welcher die alte La-
fettenform mit «Lade und Bank», die alte «Bur-
gunderlafette» , verwarf und dafür die Blocklafette
einführte, mit deren Construction die Einführung
der «Balanceschildzapfen» Hand in Hand ging. Eine

*) Gelcich Jos., Die Erzgiesser der Republik Ragusa. Aus
dem Italienischen übersetzt von \V. Boeheim. Mittheilungen der
k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und hist. Denkmale, 1891, Bd. XVII. Wir sagen hier absichtlich
nicht «Kaliber», weil diese. Bezeichnung an sich ein System vor-
aussetzt und überhaupt erst mit den Tabellen des gelehrten Vicars
der St. Sebaldskirche zu Nürnberg, Georg Hartmann (1489 — 1564),
als Terminus technicus auftritt.

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