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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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8. Heft
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Lenz, Eduard von: Geschützgiesser in Russland vom 15. bis in's 18. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0223

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8. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

205

Geschützgiesser in Russland vom XV. bis in’s XVIII. Jahrhundert.
Von E. von Lenz in St. Petersburg.

Es ist in weiteren Kreisen der Freunde und
Kenner des Waffenwesens gewiss noch Weniges über
die Vergangenheit der Artillerie in Russland bekannt
und dürfte nicht unwillkommen sein, einige Daten
über dieses Gebiet der Waffentechnik zu erhalten.
Bei beschränkter Zeit und leider auch beschränktem
Materiale ist es uns nun bedauerlicher Weise nicht
möglich, das bezeichnete Thema auch nur annähernd
erschöpfend zu behandeln und so entschlossen wir
uns denn auf die freundliche Aufforderung der Re-
daction dieser Zeitschrift hin, in einer Reihe von
Notizen eine Zusammenstellung des bereits von
Andern gesichteten und theilweise auch wissenschaft-
lich bearbeiteten Materiales zu bringen, welches aus
einschlägigen Acten, Chroniken, Monographieen
russischer Gelehrter und Museumskatalogen über Ge-
schützgiesser in Russland vom Ende des 15. Jahr-
hunderts bis zu dem Jahre 1700 gesammelt werden
konnte.1)
Es würde zu weit führen, hier den ersten Ver-
suchen auf russischem Boden das Pulver als ge-
schosstreibende Kraft zu verwenden, nachzugehen;
nur sei bemerkt, dass zwischen dem Jahre 1184, in
welches der Chronist bei Gelegenheit eines Ueber-
falles räuberischer Grenzvölker die Gefangennahme
eines «Moslim, so mit lebendigem Feuer schoss»,
verlegt, und dem Jahre 1389, in welchem über die
Einfuhr der ersten Geschütze aus dem Auslande be-
richtet wird, zwei Jahrhunderte liegen, in deren Ver-
lauf ganz zweifellos Geschütze in Russland nicht nur
gebraucht, sondern auch gefertigt wurden.
In der Golitzyn’schen Chronik2) heisst es unter
dem Jahre 1389: «... sie führten ein von den
Deutschen armata und Feuerschiessen und erlernten
von Stunde an aus solchen zu schiessen.» Dieser
erste nachweisbare Import von Geschützen ist augen-
scheinlich auf die Handelsverbindungen Nowgorods
mit den Hanse-Städten zurückzuführen und wird der
Fall auch gewiss nicht vereinzelt dagestanden haben.
11 Jahre später (1400) wird bereits eines grossen
Brandes in Moskau Erwähnung gethan, welcher
«durch Pulvermachen» entstanden war, und im Jahre

x) Die hauptsächlichsten der hier benutzten Quellen sind:
»Das Geschütz-Inventar der Stadt Smolensk 1667 —1671 (Nachträge
zu d. hist. Akten, herausgeg. v. d. Archäographischen Kommission
zu St. Petersburg, Band Y). Chmyrow, Artillerie und Artilleristen
in dem vor-Petrinischen Russland« (Artillerie-Journal 1865 No. 9).
N. Brandenburg, Katalog des Artillerie-Museums zu St. Petersburg,
Band I. Id. »Zur Feier des 500jährigen Bestehens der russischen
Artillerie«. Einzelne Daten sind ferner dem Kataloge der Waffen-
sammlung in der Kaiserl. Eremitage zu St. Petersburg v. N. P.
Kandakow, den Denkwürdigkeiten der Kaiserl. Archäologischen
Gesellschaft, Band I, und a. O. entnommen.
2) Handschrift der Kaiserl. Oeffentlichen Bibliothek zu St.
Petersburg.

1408 sind die Mauern und Wälle dieser Stadt schon
hinreichend mit Geschützen bewehrt, um den Angriff
des Tataren-Chans Jedigej nachdrücklich abweisen
zu können.
Leider sind nur die Nachrichten über die Art
und Wirkung dieser Geschütze bis zum Ende des
15. Jahrhunderts sehr spärlich. Dass ausser Moskau
auch noch andere Städte über Artillerie verfügten,
ersehen wir aus des Chronisten Meldung, Dmitrij
Schemjaka habe im Kriege gegen den Urossfürsten
Wassilij III. im Jahre 1450 die Stadt Galitsch mit
Feuerrohren versehen; weiterhin erfahren wir, dass
bei der Belagerung der Veste Nowij Gorodok die
Bürger von Pskow dem deutschen Heere viel Schaden
mit einer «grossen Büchse» zufügten. Endlich muss
Nowgorod im Jahre 1471 über eine zahlreiche Artillerie
verfügt haben, wenn es dem Verräther Upjadisch,
wie der Chronist berichtet, gelingen konnte in einer
Nacht 55 Kanonen zu vernageln.
Um die Wende des 15. Jahrhunderts beginnt
für Russland eine neue Aera des Geschützwesens
mit der Berufung ausländischer Giesser und Geschütz-
meister, deren Aufgabe, ihre Kunst im Lande zu
verbreiten und heimisch zu machen, Dank der Ge-
lehrigkeit, Befähigung und Anstelligkeit ihrer Schüler
in ganz kurzer Zeit gelöst war, so dass von einem
Abhängigkeitsverhältniss russischer Giessereien von
ausländischen Instructoren bereits um 1525 nicht
mehr gesprochen werden kann.
Bei Gelegenheit einer diplomatischen Mission
an den Dogen von Venedig beauftragte der Gross-
fürst Iwan III. Wassiljewitsch (1462—1505) seinen
Gesandten Semen Tolbusin, einen kunstfertigen Bau-
meister und zugleich Glocken- uud Geschützgiesser
nach Russland mitzubringen, und als solcher erschien
1474 der Bologneser Alberti Fioraventi, seines
grossen Wissens und Könnens wegen Aristoteles zube-
nannt, mit seinem Sohne und einem Schüler, für den
ausbedungenen Lohn von 10 Rubeln (etwa 2 Pfund
Silber) monatlich. Nach Erbauung der Kathedrale
zu Mariä Himmelfahrt in Moskau (1479) begann
dieser Meister Geschütze zu giessen, und zwar an
dem Frolow’schen Thore, in einem Gebäude, welches
1488 ein Raub der Flammen wurde; über seine
Thätigkeit wird weiter noch berichtet, dass er während
der Belagerung von Nowgorod -1478 eine Schiff-
brücke erbaute und im P'eldzuge gegen die Stadt
Twer die gesammte Artillerie von ihm befehligt
wurde.
Aus der grossen Zahl der um diese Zeit nach
Moskau berufenen Künstler und Handwerker werden
einige ganz speciell für das Geschützwesen verschrie-
bene Meister genannt: so 1488 Paulus Debosis
aus Venedig, (macht sich durch den Guss eines
 
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