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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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3. Heft
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Literatur
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76

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

I. Band.

Literatur.

Buttin Ch. Les armes prohibees en Savoie
sous les royales constitutions. 1897.
Wieder liegt uns eine jener kleinen Studien Buttin’s
vor, in welchen dieser tüchtige Schriftsteller das Ergeb-
nis seiner gewissenhaften Forschungen Freunden der
Waffenkunde mitzutheilen pflegt. Diesmal erstreckten
sich seine Untersuchungen auf die in Savoyen verbotenen
Waffen.
Von dem Gedanken ausgehend, dass alle jene Ver-
ordnungen, durch welche die Staatsgewalt eine Waffe zu
einer verbotenen stempelte, für die historische Waffen-
wissenschaft eine grosse Bedeutung besässen, weil die-
selben nicht nur Schlüsse auf uns fremd gewordene Zeit-
und Lebensverhältnisse, sondern auch auf die Form und
die Anwendung ausser Gebrauch gekommener Waffen
ermöglichen, betrachtet er die in Savoyen erlassenen
Waffenpatente weniger vom Standpunkte des Juristen
als von jenem des geschulten Archäologen und Cultur-
geschichtsschreibers.
Einleitend skizzirt der Verfasser den Entwicklungs-
gang, welchen das Rechtssystem der in Savoyen ver-
botenen Waffen genommen hatte. Aus dieser Rückschau
erfahren wir, dass unter Victor Amadeus I. am 20. Februar
1723 das erste Waffenpatent veröffentlicht wurde, welches
mit geringen durch den Wandel der Zeiten bedingten
Aenderungen bis zum-15. Jänner 1840 in Kraft blieb. Als ver-
botene Waffen zählten diese Gesetze auf: Flinten, Stutzen,
Trombons, Pistolen,Terzerole, Balestrins, Stossdegen, Ba-
jonnete, Degenstöcke, Stilete, Dolche, genuesische Messer.
Erwähnt mag hier werden, dass die savoyische Ge-
setzgebung, was den Umfang der verbotenen Waffen an-
belangt, weit engere Grenzen zog als die um i3o Jahre
jüngere österreichische. Das kaiserliche Patent vom
24. October 1852 (R.-G.-Bl. Nr. 223) erklärt im § 2 als
verbotene Waffen: «Dolche, Stilete und hohlgeschliffene
stiletartige Messer, dreischneidige Degen, Trombone,
Terzerole unter dem Maasse von 7 Wiener Zollen (18 Cm.),
mit Inbegriff des Schaftes und Laufes, Windbüchsen jeder
Art, Hand- und Glasgranaten, Petarden und Brandraketen,
Kanonen; ferner alle verborgenen, zu tückischen An-
griffen geeigneten Waffen was immer für einer Art, wie
z. B. Stockflinten, Degenstöcke u. dgl.; endlich alle jene
Werkzeuge, deren natürliche Form absichtlich verändert
erscheint, um damit schwerer zu verwunden, sowie jedes
versteckte, zu tückischen Anfällen geeignete Werkzeug,
welches seiner Beschaffenheit nach weder zur Ausübung
einer Kunst, eines Gewerbes, noch zum häuslichen Ge-
brauche bestimmt ist.» Was die Strafen anbelangt, welche
die Uebertretung dieser Normen regeln, so sind die öster-
reichischen, dem modernen Geiste entsprechend, weit
milder als die savoyischen. Während in Oesterreich ein
Verstoss gegen das Waffenpatent mit einer Arreststrafe
bis zu einem Jahre oder mit einer Geldbusse bis zu 500
Gulden gesühnt wird, eventuell auch die Entziehung des
Gewerbes ausgesprochen werden kann, verhängt der Ge-
setzgeber in Savoyen drakonische Strafen: mehrjährige
Galeerenstrafen, an deren Stelle später die Gefängnis-
strafe trat.
Doch kehren wir nach dieser rechtsvergleichenden
Abschweifung wieder zu unserem Werkchen zurück.
Buttin geht nun die einzelnen Waffengruppen durch.
Taschenpistolen wurden als verbotene Wraffen angesehen,
sobald die Lauflänge unter 20 Cm., später unter 17 Cm.

herabging; doch gestatteten zahlreiche Ausnahmsbestim-
mungen die Umgehung dieser Vorschrift, so dass die Er-
zeugung derartiger Taschenpuffer sehr gewinnbringend
wurde. Besonders die Brüder Mouton aus Groisy brachten
gefällige, ganz aus Bronze gearbeitete Terzerole in den
Handel. Eingehender als mit diesen Schusswaffen und
den Trombons, welche jedermann bekannt sind, beschäf-
tigt sich der Autor mit den sogenannten Balestrins, einer
kleinen, leicht zu verbergenden Armrust, von welcher er
annimmt,' sie sei ein altes, weitverbreitetes nationales
Schiessgeräth der Italiener gewesen, welches ausserhalb
Italiens wenig Verbreitung gefunden hatte,1) welche An-
sicht durch den Umstand gestützt wird, dass kein einziges
französisches Wörterbuch diesen Ausdruck enthält, ja,
dass sogar im französischen Texte des Edictes vom Jahre
1729 dieses Wort mit italienischen Lettern gedruckt er-
scheint. Ein derartiger im Besitze Buttin’s befindlicher Ba-
läster weist folgende Maasse auf: Länge der Säule 25 Cm.,
des ungemein kräftigen Stahlbogens 17 Cm.
Bei den Blankwaffen bespricht Buttin zunächst die
Bajonnete, welche sich von ihren Brüdern am Infanterie-
gewehre wesentlich unterschieden. Diese verbotenen Ba-
jonnete waren nichts Anderes als grosse Dolche, sogenannte
Spundbajönnete, deren konisch zugeschnittener Griff es ge-
stattete, sie in jedem Lauf zu befestigen, so dass die Flinte
wohl als Stich-, nicht aber als Schusswaffe gebraucht wer-
den konnte. Die Degenstöcke betrachtet der Verfasser als
eine Erfindung des XVI. Jahrhunderts; sie weichen von ihren
Epigonen, moderner Bazarwaare, dadurch ab, dass sie keine
Stricknadeln, sondern sehr gute, bis zu einem Meter lange
Klingen in ihrem Inneren bargen. Eine Abart dieser
Stöcke waren die Springstöcke, welche mitunter drei
Klingen divergirend vortreten Hessen.
Aus der grossen Gruppe der mannigfach gestalteten
Stossinesser, der Lieblingswaffe des romanischen Volks-
stammes, hebt der Autor eine noch wenig beschriebene
Waffe heraus, welche die königlichen Verordnungen
«coltello genovese» nennen. Nach dem Hinweise darauf,
dass Major Angelucci einem Dolche des Turiner Waffen-
museums fälschlich diese Bezeichnung beilege) beschreibt
Buttin das Genueser Messer, dessen gewöhnliche Klinge
sich plötzlich zu einem langen, kräftigen, geöhrten, an der
Spitze vierkantigen Pfriemen verjüngt, welcher selbst die
engen Maschen eines festgefügten Panzerhemdes durch-
drang. Den Namen Genueser Messer, den-spätere Edicte
durch «passecorde» ersetzen, leitet der Verfasser von
dem doppelgesichtigen Aussehen dieser Waffe ab; er
meint, derselbe sei aus einer Verballhornung des lateini-
schen Ausdruckes cultellus Januensis entstanden, da die-
--ses zu tückischen Anfällen besonders geeignete Messer,
welches ein Sattlerwerkzeug vortäuschte, gewissermassen
ein Janusgesicht zeigte. Exemplarische Strafen machten
diese Waffen zu ausserordentlich seltenen. Ein Patent
vom Jahre 1681 bedroht den Träger eines Genueser Messers
mit lebenslanger Galeere, und noch hundert Jahre später
genügte der blosse Besitz dieser Waffe, um durch fünf
Jahre das Elend der Galeerensträflinge zu verkosten.

*) Das ist vollkommen richtig. In Italien, vorzüglich in
Florenz und Pisa, wurden Miniaturarmrüste schon im XV. Jahr-
hundert gefertigt und gebraucht, welche nur Nähnadeln statt der
Bolzen schossen. Derlei Armrüste aus "dem XVI. Jahrhundert,
deren Säulen eine durchschnittliche Länge von 10 Cm. besitzen,
bewahrt noch heute das Museo municipale zu Venedig. Red.
 
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