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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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7. Heft
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Jähns, Max: Die Framea
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0167

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Die Framea.
Von Dr. Max Jähns in Berlin.

Unter den Werkzeugen oder Waffen der Urzeit
ist kein Gegenstand so weit verbreitet, kommt so
häufig und in so verschiedenen Abmessungen vor
als das keilartige Gerät, welches die Archäologen
mit einem mittcllateinischen Worte: celtis, d. h.
Mcissel nennen.1) Von Stein, von Kupfer, von
Erz, von Eisen sogar noch, findet es sich fast über
die ganze Welt verbreitet. Als seine Urform kann
der vom Wasser ang-egriffene Rollstein gelten, dessen
in langem Umhertreiben hervorgebrachte Schneide
durch Zuschleifen verschärft und formgerecht ge-
macht ward, bis er ungefähr die Gestalt eines
Schneidezahns hatte, als dessen Organprojection der
Celt erscheint. — In diesem rhomboidalen Werkzeuge
hat man die Urklinge zu sehen. Seine Schäftung
erfolgte entweder an einem geraden oder an einem ge-
krümmten Griffe. Erstcren Falls ergab sich, wenn
man ein ganz kurzes Holz- oder Hornstück wählte,
ein Handmeissei; versah man den Celt dagegen mit
einer langen, geraden Handhabe, so schuf man ein
spatenartiges Werkzeug oder einen Speer, der je-
doch statt der Spitze, welche in Stein doch niemals recht
tüchtig und dauerhaft hergestcllt werden konnte,
eine mit einer Schneide abschliessende Klinge trug.
— Klemmte man den Stcinmeissel in eine gebogene
Handhabe (Knieholz, Astwinkel, Gabelgeweih), so
ergab sich die Grundform des Beiles. Auf diese
Weise wurde der Celt Ausgangspunkt jener reichen
Entwickelungsreihe von Werkzeugen, die sich in der
Folge als Mcissel, Stemmeisen, Grabscheit, Pflug-
schar, Gabel, Harke, Spaten, Schaufel, Brechstange
und Breitspiess oder andererseits als Beil und Axt
auseinander breitete. Offenbar hat der Celtis einst-
mals den Zwecken all dieser späteren Werkzeuge ge-
dient, wie ja Völker von geringer Kultur ein und
dasselbe Werkzeug für die verschiedensten Aufgaben
mit grosser Geschicklichkeit zu benutzen wissen;
unzweifelhaft war er auch die Urklinge sowohl der
Streitaxt als des Breitspiesses'; in beiden Formen
findet er sich in Gräbern als Gegenstück zum Schwerte,
und seit dem Anfänge des vorigen Jahrhunderts hat
man in jenem schneidenden Breitspiess, der im
Norden auch «Palstab» genannt wird, diejenige Waffe

i) Gewöhnlich wird das Wort celtis nur auf die metallenen
Keile zuweilen sogar nur auf die bronzenen und eisernen Hohl-
meissel (Düllencelts) bezogen; indess liegt dazu nicht der mindeste
Grund vor, und es kann nur zur Verwirrung fuhren, wenn die
steinernen Keile ganz bei Seite gelassen und unterschiedslos als
«Beile» bezeichnet werden.

zu erkennen gemeint, welche Tacitus in seiner «Ger-
mania» wiederholt und mit besonderem Nachdruck
als die wichtigste Wehr unserer Vorfahren be-
zeichnet: die Framea. So alt die Behauptung, so
alt der Streit um ihre Richtigkeit, und da der
Gegenstand dieser Erörterung für uns Deutsche wirk-
lich etwas Ehrwürdiges hat, so sei es gestattet, auch
an dieser Stelle einmal das Für und das Wider aus-
einander zu setzen.
Tacitus sagt in der Germania» (Cap. 6) von
den Germanen: «Rari gladiis aut maioribus lanceis
utuntur; hastas, vel ipsorum vocabula frameas ge-
runt angusto et brevi ferro, sed ita acri et at usum
habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel cominus
vel eminus pugnent, et eques quidem scuto frameaque
contentus est.» D. h.: «Selten benutzen sie Schwerter
oder grössere Spiesse; sie führen Speere, welche
sie selbst «F’ramen» nennen, mit schmalem und
kurzem aber so scharfen und zum Gebrauch ge-
schickten Eisen,1) dass sie mit derselben Waffe je
nach Umständen Mann gegen Mann oder aus der
Ferne kämpfen. Der Reiter begnügt sich mit Schild
und Frame.» An anderen Stellen bezeichnet Tacitus
die Frame als mörderisch und siegreich und be-
richtet, dass sie den Mann zur Volksversammlung
wie zum Gastmahl begleite, dass durch ihre Ver-
leihung der Jüngling wehrhaft gemacht würde, dass
der Gefolgschaftsführer mit ihr seine Kampfgenossen
ausstattete, dass Verlobte sie zum Weihegeschenke
wählten und dass unter ihren Klingen wie unter
denen der Schwerter die Jünglinge den Kriegsreigen
tanzten.2) Offenbar also erscheint dem Tacitus die
Frame als die eigentliche Haupt- und Volks-
waffe der Deutschen. — Was mag nun die Ab-
stammung und die ursprüngliche Bedeutung des
Wortes framea sein?
Dass der Ausdruck deutsch sei, sagt Tacitus
in ganz unzweifelhafter Weise: «Hastas vel ipsorum
vocabula frameas gerunt.» Man hat Framea mit
dem echt deutschen Worte «Pfrieme (Spitze zum
Bohren) zusammenstellen wollen; allein die Germa-
nisten haben das aus lautlichen Gründen für unzu-

x) Man könnte ferrum auch kurzweg als «Klinge» über-
setzen; denn die Römer brauchen das Wort oftmals in diesem Sinne.
Ich habe es trotzdem nicht gethan, weil der oben angeführten
Stelle eine andere kurz vorhergeht, in der ferrum unbedingt das
Metall bezeichnet. («Ne ferrum quidem superest, sicut ex genere
tellorum colligitur.»)
2) Germania 14, 11, 13, 18, 24.

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