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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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12. Heft
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Boeheim, Wendelin: Der Werth der Geschichte der Waffe für den höheren militärischen Unterricht: eine Denkschrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.37715#0317

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12. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

Beobachtung hat einen tiefen Grund; sie erweist
deutlich, dass hier ein neuer Ton angeschlagen wor-
den ist, der im Akkorde bisher gefehlt hat, der nun
weit kräftiger und richtiger den Gedanken ausdrückt.
Und in der That, diesen vereinzelten Be-
strebungen ist ein nicht geringer instructiver Werth
beizumessen, wenn man bedenkt, dass die Autoren
nur aus den dürftigsten Quellen zu schöpfen in der
Lage waren. Für die antike Periode sind allerdings
aus später Zeit Daten über die Bewaffnungen vor-
handen, allein sie sind nicht gesichtet, nicht kritisch
behandelt und vor allem nicht in den vorhandenen
Funden ins Einzelne studiert. Für das Mittelalter,
das bisher immer mit romantischem Auge betrachtet
wurde, mangelt es an umfassenderer Kenntniss völlig.
Wer hat heute eine klare Vorstellung von der ein-
schneidenden Veränderung in der Bewaffnung der
feudalen Fleere vom ersten bis zum dritten Kreuz-
zuge, ihrer Ursachen und ihrer Wirkung, ja auch
nur der Leitung des Gedankens?
Muss da nicht folgerichtig die Schärfe des Ur-
theiles über Ursachen und Wirkungen bestimmter
Kriegsereignisse leiden, eines Urtheiles, das uns
manchmal ganz und gar nicht einleuchtet?
Was wir von der Waffe der Vergangenheit zu
unserer Belehrung erfahren müssen, das ist in weni-
gen Fragen gesagt, und wir haben bei ihrer Auf-
zählung keine Miene der Gelehrsamkeit anzunehmen.
Es giebt in der Geschichte der Kriege gewisse
scharf abgegrenzte Perioden, in welchen bei den
verschiedenen Völkern eigenartige Bewaffnungs-
systeme, eine Folge des nationalen Naturells und
der praktischen Anschauung der Nationen, zur Gel-
tung und Uebung kamen. Die Unterschiede sind
so in die Augen fallend, dass sie sich unschwer
dem Gedächtnisse einprägen und sich daher jede ein-
zelne Bewaffnungsart in Form, Leistung und Verwen-
dung als ein beurtheilungsfähiger Gegenstand därstellt.
Was haben wir von der Bewaffnung der Völker
in bestimmten Perioden zu erfahren? Ihre Entsteh-
ung; die Bedingungen und Ursachen derselben mit
Rücksicht auf den Kulturgrad; ihre Eigenart und ihr
Werth an sich und im Verhältnisse zur Bewaffnung
des Gegners; endlich ihre Verwendung im Gefechte
mit Rücksicht auf ihre Eigenschaft. Da wäre nun
ein Querstrich zu denken, unter welchen ihr Erfolg
oder Misserfolg zu setzen käme. Diese wenigen
Fragepunkte wären zu beantworten in jeder Periode,
sie bleiben sich gleich ebenso im trojanischen Kriege
wie in jenen König Friedrich’s II. oder Napoleons I.
Lege ich den kritischen Maassstab selbstlos an
meinen eigenen Gedanken, so ersehe ich, dass das-
jenige, was ich hier der eingehendsten Erwägung
empfehle, im Grunde nichts anderes ist, als Kriegs-
geschichte, nur von einem anderen Gesichtspunkte
aus betrachtet. Andere Gesichtspunkte aber geben
andere Erfahrungen.
Die historische Waffenlehre, Geschichte der

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Waffen oder wie wir die Sonderwissenschaft nennen
wollen, ist kein Gegenstand, der das Gedächtniss in
bedeutendem Maasse in Anspruch nimmt: er schreitet
von einem' Urzustände einfach auf pragmatischer Bahn
vor; er bietet die Methode für die Beurtheilung und
führt durch eine Reihe von Beispielen auf ein wissen-
schaftliches Gesetz: er bedarf daher nicht mechanisch
lernender, nur denkender Schüler.
Ein Ergebniss tritt, das Lehrgebäude stützend,
aus dem Studium der Waffengeschichte heraus; der
grosse Gegensatz in der Bewaffnung des Orients zu
jener des Westens in Europa. Dieser Gegensatz leitet
seine Spuren bis an die Anfänge der Geschichte
hinauf und ist noch zur Stunde nicht verwischt.
Die Erkenntniss dieses Gegensatzes und die Erfor-
schung der Wesenheit der beiden Bewaffnungssysteme
bildet eine der Grundlagen für das Verständniss der
Waffe an sich mit ihrer Aufgabe und ihrer Verwendung.
Die Bewaffnung des Orients ist die älteste, un-
mittelbar aus der menschlichen Natur erwachsen,
eine ursprüngliche; jene des Westens ist eine Schü-
lerin, sie ist aus rohen Anfängen durch Nachahmung
entstanden und allmählig durch kalte Berechnung
weitergebildet worden bis zu einem hohen Grade
der Vollkommenheit in der Gegenwart. Oft im Laufe
der Zeiten haben sich beide Systeme gegenseitig be-
einflusst. Das schrittweise Verfolgen dieser wechsel-
seitigen Einflüsse ist die lehrreichste Partie in der
Waffengeschichte. Die natürlichen Grundsätze des
Bewaffnungssystems des Orients scheinen heute zu-
rückgedrängt zu sein, aber sie flackern zuweilen
plötzlich wieder auf und machen sich gar oft em-
pfindlich geltend. Die Waffengeschichte lehrt, dass
die Fleere oft wiederholt in ihren sorgsamst be-
rechneten Bewaftnungssystemen auf grundsätzliche
Irrthümer verfallen sind, man denke da nur an die
feudalen Fleere des Mittelalters mit ihrem Streben
nach absoluter Unverletzbarkeit des Einzelnen. Ara-
ber wie Türken haben ein gedankenloses Nachahmen
der europäischen Bewaffnung oft theuer bezahlt.
Diese wenn auch nur skizzenhaft hingeworfenen
Bemerkungen mögen zu der Ueberzeugung führen,
dass das Studium der Wesenheit der Waffe im Flin-
blicke auf ihre eigene Anwendung und nicht minder
auf jene des Gegners für den höheren Offizier ein
nahe gelegenes Bedürfniss ist. Man wird die Lehren,
welche die Geschichte der Waffen enthalten, aus
keiner Kriegsgeschichte, und sei sie noch so sehr
in’s Kleine gemalt, herauszuziehen im Stande sein,
und keine technische Waffenlehre, keine Feldvor-
schrift und kein Reglement wird über die Wesenheit
der Waffe aufklären. Flier klafft die Lücke, die nur
dadurch nicht so allgemein empfunden wird, weil
eben keine Bildungsanstalt diesen Gegenstand in ihr
Programm aufgenommen hat. Wird sie ausgefüllt,
dann wird sich sicher die hohe Bedeutung des
Themas von selbst erweisen.
Wien, im März 1899. Wendelin Boeheim.
 
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