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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 1-9 (Januar 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

4— —..——

25. Mittwoch, den 16. Januar

XVI I ⏑ * IIIII-

IIII

— — ⏑E —

Das Mitleid.
Ein Bild aus dem wirklichen Leben, von Karl Blumauer.

V„Sorglich ſtreuſt du vor die Scheuer
„Vögeln Korn im Winter aus;
„Nöthigſt zu des Herdes Feuer
„Pilger in dein wirthlich Haus;
„Herbergſt an des Strohdachs Balken
„Prognens federloſe Brut;
„Schirmeſt Täubchen vor des Falken,

„Küchlein vor des Geiers Wuth.“
Salis.

Den plaudernden Baͤchen und Fluͤſſen hielt ein
ehernes Band die Zungen ſchweigſam gebunden,
die blaͤtterloſen Geſteaͤuche und Baͤume ſtanden da
vom Reife uͤbergoſſen, wie kandirt; uͤber die nie-
dere Staͤtte der Blumenwelt lag ein weißes, weit-
faltiges Leichentuch von Schnee ausgebreitet; alle
ſonſt liebgewohnte Wandelpfade waren unkenntlich
und verſchuͤttet, und nirgends gewahrte man, au-
ßer dem Weichbilde des Orts, naͤchſt der Faͤhrte
des raubgierigen Fuchſes, eines traulichen Men-
ſchen Fußſtapfen, als da, wo etwa ein Armer, von
ſeiner Hucke zuſammengeleſenen Reisholzes nieder-
gedrückt, eine Spur ſeiner ſchweren Laſt in die
Schnee-Umhuͤllung hineingetreten hatte. Der
Sturm heulte um die dick berauchten Schornſteine,
deren Waͤrme-Pol froſtige Kraͤhen umlagerten,
und um die nackten Giebel der Haͤuſer, als ob er
ſelbſt vor Kaͤlte jaͤmmerlich erſtarren wollte; das
von der Auswanderung allein zuruͤckgebliebene,
ſchwache, patriotiſche Voͤgel-Chor hatte, ſeine
Furcht laſſend und auf den Kredit des Menſchen
bauend, ſich naͤher nach den Bewohnungen hinge-
zogen, beſonders aber das Heer der alten Haus-
ſperlinge, die, ihren gewoͤhnlichen Bettelmönchge-

XA “C“



1822.

ſang eintoͤnig wiederholend, auf den Zinnen der
Daͤcher ſaßen; von der allgemeinen Heerſtraße knit-
terten und kniſterten die dort ſich hindehnenden
Laſtwagen unheimlich und grauſig heruͤber.
Zu dieſer Winterzeit nun begab es ſich, daß
ich in einer bedeutenden Stadt Niederſachſens, in
H. . .. .r, bei meinem Freunde, dem Kaufmanne
W dt, zum Beſuche einkehrte, den man Mild-
ſtedet nennen ſollte, denn er iſt ein Mann, der
die beredten Zuͤge ſanften Wohlwollens auf ſeinem
Geſichte traͤgt und der, nach der Voͤlkerſchlacht bei

Leipzig, ganze Heerwagen voll Unterſtuͤtzung an

Bekleidung, Linnen, Nahrungsmitteln aller Art,
baarem Geldͤe zur Wiederaufhuͤlfe zerſtöͤrter, zu-
ruͤckgekommener Gewerbe fuͤr die durch den Krieg
in iener Gegend Ausgepluͤnderten, Abgebrannten
und Verarmten dahin beſorgte und thaͤtig betrieb, ob
Chur-Sachſen gleich nicht ſein Vaterland iſt und
er deßhalb auch kein buntes Baͤndchen ins Knopf-
loch erhielt, weil es unter dem Knopfioche bei
ihmehrenroth ausſieht. — Er arbeitet, neben
ſeinem Haus geſchaͤft des Verkaufs von allerlei Por-
zellan⸗ und Galanterie-Waaren, dem ein tuͤch-
tiger Vetter vorſteht, als erſter, aͤlteſter Commis,
ich ſollte ſagen mehr als gepruͤfter Lebenögenoſſe,

dort in einer andern Handlung, der er durch

Rath, That, Einſicht und Erfahrung, wie durch
ſeine redliche, untadelhafte Geſinnung, ein faſt
unentbehrlicher Freund, ein ſicherer Pilaſter in
Gluͤck und Ungluͤck geworden iſt, und in deren
Vereinigung er, ohne Mitglied einer geheimniß-
vollen Sekte zu ſeyn, ſo manche große Zwecke der

Menſchheit fuͤr Leben, Wiſſenſchaft und Kunſt in

liebreicher Stille foͤrdert!
 
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