Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 88-96 (November 1822)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0457

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bote

vo m Neckar

unn d Rhein.

Vereinigtes unterbaltungsblatt fuͤr gebildete Leſer.

SScꝗeeee

Nꝰ 89.

——

Mittwoch, den 6. November,

— —

1822.

AW D——— ———

—& Trrr * —

Aus des Hauptmann Schaſte r.s
poetiſchem Nachlaß

An den Herausgeber der Charis.
Da mein verſtorbener Freund, als ihn ſchon unbewußt der
Fittig des Todes umſchwebte, mehrere ſeiner dichteriſchen
Verſuche für die Charis beſtimmt hatte; ſo glaube ich es den
Manen des Verblichenen ſchuldig zu ſeyn, den ihm nicht
vergönnten Wunſch an ſeiner Stelle zu erfüllen, und werde
Ihnen nach und nach einen Liederkranz mittheilen, in dem
ſich des Dichters zarter religtöfer Sinn, neben einer ganz
eigenthümlichen Kraft des Ausdrucks, nicht nur deutlich aus-

ſpricht, ſondern der auch, als ein ſchönes Erbthert fur ſeine

hinterlaſſenen Freunde, offentliche Mitthyeikung verdient.
Rutſchmann.

1. Die Erſcheinung

Einſam durch des Hͤͤgels duft'ge Bluͤthen
Sah das ſchoͤnſte Maͤdchenbild ich wallen
Her zu mir, ſah es mir Wohlgefallen
Schien mir eine Seligkeit zu bieten.
Mild ergluͤhten ſeine ſchlanken Glieder,
Die des Fruͤhroths Purpur leicht bemalte
Und aus ſeiner ganzen Fulle ſtrahlte
Das Entzuͤcken aller ſuͤßen Lieder.

Unterm Anſchau'n — plotzlich doch berſchwand
Mit dem Traum es, der ſo ſchoͤn geweſen;
Immer noch an dieſes holde Weſen
Knuͤpft mich doch ein unſichtbares Band
Und ein Sehnen das ich nie erreiche,
Fuͤhrt mich oft in ſeine luft'gen Reiche.

2. Der Wanderer.

Dem Wand'rer winken ſchon die Heimathhuͤtten
Aus naͤch'gem Schatten zu der holden Braut;
Doch um ihn ſchleicht es wie mit Geiſtertritten
Und haͤlt die Seele ihm umgraut.

Dumpf weht die Nacht, und kalter Regenſchauer

Senkt froſtig ſich auf ſeiner Hoffnung Bahn,
Den Himmel huͤll's in immer tief're Trauer
Und duͤſtre Ahnung haucht ihn an.
Strahlt mir kein Stern, zum Pfade meiner Lieben?
Seufzt' leiſe er mit bangendem Gefuͤhl,

Biſt Liebchen Du vielleicht nicht treu geblieben

Sagt mir's ein Geiſt am nahen Ziel?

Und immer weiter foͤrdert er die Schritte,
Wild ſtuͤrmt der Wind hoch uͤber ihm heran
Und an des Himmels wolkendichter Mitte
Zerreißt ſein Flug die ſchwarze Bahn.

Jezt ſenkt der Mond auf blaſſe Schimmerwellen

Sich ſtreckenweis zur dunkeln Erde hin,
Es ſchaut der Wand'rer Gruppen bleich ſich hellen
Und welcke Kraͤnze ſchau'n auf ihn.

Sind dies nicht Huͤgel neu gewoͤlbter Gruͤfte?

Ruft' er, fuͤr die der Todesengel warb?

Da fluͤſtert ſtill es, durch die ſchaur'gen Luͤfte

Sie nahmen's Liebchen auf — ſie ſtarb. —
Carl Schuſter.
 
Annotationen