Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 10-17 (Februar 1822)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0061

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

A³ -

Ne 11.



Fragmente einer maleriſchen Reiſe
durch verſchiedene Gegenden des ſuͤdlichen
Teutſchlands.

Fortſetzung.
Achtzehnte Stunde von 11 bis 12 Uhr.
Nachdem ich die alten Kirchen zum heiligen Emme-
ran, und die St. Quintinskirche, wo außer dem
ſchoͤnen Altarblatt in erſterer, und den gemalten
Fenſterſcheiben in lezterer, nichts merkwuͤrdiges fuͤr
mich zu finden war, beſehen hatte, ſchlug ich den
naͤchſten Weg nach der alten Kollegiat-Kirche zum
heiligen Stephan ein, deſſen hoher, alter
ſchwarzbraun und gruͤn angelaufener 210 F. hoher
Thurm die ganze Gegend beherrſcht. Sie liegt
auf einem betraͤchtlichen Huͤgel, wohin man zu ver-
ſchiedenen Seiten auf Treppen und Wegen, zwi-
ſchen Blumenbepflanzten Gaͤrten, gelangt. Sie
gewaͤhrt eine ſchoͤne genußreiche Ausſicht uͤber die
ganze hier vor dem Blick, in der Form eines Halb-

kreiſes, ausgebreiteten ehrwuͤrdigen Stadt. Die

Bauart iſt aͤcht gothiſch. In der ſchmuckloſen von
ſechszehn ungeheuren Saͤulen unterſtuͤzten duͤſtern
Kirche ſind einige Altarblaͤtter aus der aͤltern Schule
und viele Denkſteine, die den Boden bedecken,
merkwuͤrdig. ö
Durch eine andere Thuͤre herausgetreten, befand
ich mich unter einem niedrig-gothiſchen Saͤulen-
gang, der im Viereck einen hoch mit Gras bewach-
ſenen Hof einſchließt. Der Wind ſpielte in den
dicht zuſammengewachſenen Neſſeln und uͤppig auf-
geſchoſſenen Halmen, die Sonne hatte ſich hinter
Wolken verſteckt, und in der oͤden Halle ſag eine
halbe Daͤmmerung verbreitet — bald trat ich auf

Mittwoch, den 6. Februar

X — C

ä — +——

1822.

die ſteinerne Ruͤſtung eines andaͤchtigen Ritterbildes,
bald auf die gefalteten ſteinernen Haͤnde eines be-
tenden Prieſters. Faſt der ganze Fußboden iſt Bild-
werk. — Mit heiliger Scheu und Ehrfurcht nahete
ich mich einem an die Wand befeſtigten blendend
weißen Kruzifixe, die Neugierde trieb mich endlich
in ein dunkles feuchtes, durch ein kleines Fenſter
ſparſam erhelltes Seiten gewoͤlbe — eine tiefe ſchauer-
volle Stille umgab mich, und ich weiß nicht wie
mir mit einmal ſo wunderlich zu Muthe ward.
Das abgeſchiedene, geraͤuſchloſe Alleinſehn unter
dem verwitterten Saͤulengang, der mit ſeinem
ſchwarzen Daͤchern alles Leben von der Auſſenwelt
abſchnitt, der nichts als den Blick nach dem neidiſch
eingeſchloſſenen Stuͤckchen Himmel uͤbrig ließ, zau-
berte mir mit einmal die ganze Kloſterwelt bildlich
vor meine Seele. Ich fuͤhlte lebhaft, daß es nur an
ſolchen Orten moͤglich iſt, ſich in den Karakter ver-
floſſener Jahrhunderte zu denken, und es gewaͤhrte
mir einen großen Genuß in die graue Vorzeit, mit
dem Licht und Schatten abwaͤgenden Blick, immer
tiefer und tiefer einzudringen.
Bald trat ich aus den engenden Straßen in die
freie Gottes Natur, und ſtieg durch ein kleines nied-
liches Thal zu der auf einem anſehnlichen Huͤgel,
zwiſchen der furchtbaren Citadelle und der Siadt,
freiliegenden Windmuͤhle empor.
Da liegt das ſtolze ehrwuͤrdige Magontiacum,
mit all' ſeinem Thun und Treiben, zu meinen Fuͤßen
ausgebreitet. Vor mir liegt der klaſſiſche Fleck der
Erde, der die Wiege teueſcher Kultur war: wo
Crescenz, ein Juͤnger Paulus, die Herrlichkeit Got-
tes durch das heilige Evangelium verkuͤndigte; wo
die rdmiſchen Weliſtuͤrmer ihre ſtolzen Adler
 
Annotationen