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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 35-43 (Mai 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

2—3——— ———

NL 39. Mittwoch,

* —¶—*—

Der Raͤuberhauptmann.

Novelle, von Karl Geid.

Ein e

Der Abend ſank auf die einſamen Thaͤler der Sier-
ra Morena; des Tages Schwuͤie neigte ſich dem
Wind, der in den Eichen rauſchte; uͤber das rauhe
Gebirg zogen duͤſtere Wolken. Duͤſter ſtand auch
Alvaro vor ſeiner Hoͤhle auf ſeinen Saͤbel gelehnt.
Unter einem Korkbaume ſaß die ſchoͤne Elvira,
die Laute in dem Arm. Nachlaͤſſig fielen die golde-
nen Locken auf ihre Schultern herab; eine Thraͤne
entfloß dem gen Himmel gewandten Auge. Jezt
zuhrte ſie die Saiten und ſang:
Säuſelt, ihr Olivenhaine/
Schoͤner blüh', der Blumen Gold!
Horch! ein Hufſchlag! Naht der Meine?
Langer nicht, o Fatme, weine!
Abdul naht, ſo lieb und hold.
„Was iſt das fuͤr ein Lied?« fragte Alvaro, die
Sängerin unterbrechend. „Eine Romanze aus den
Zeiten der Mohren, da ſie Granada beherrſchten,“
erwiederte Elvira. Er entnahm ihr ſanft die
Laute, ſchlug einige Akkorde, und hub an:
Racht verhüllt die gold'nen Sterne,
Immer liegt das Ziel noch ferne!
Schwindet jeder frohe Klang?
Mehr, als Hekla's Feuergluten,
Wilder, als des Meeres Fluten/
Iſt der Liebe Drang.
»So — ſprach er, das Saitenſpiel in ihren Schoos
und die Hand auf ihre Schulter legend — ſo ſang von
Thule's Klippenſtrand der Normann Ethelwolf der
ſchoͤnen Maid Swanhilde nach „als ſie mit ſchnel-

lem Segel nach Seelands Ufern flog.“ — Elvira

ſenkte das Haupt; er ſah ihr in's Geſicht; ſie weinte
heftiger. „Maͤßige doch den Schmerz!“ ſagte er
mild. „O! — rief ſie — du haſt ſo edel gegen



den 15. Mai,

I&-·-

““-““-“-

1822.

mich verfahren. Nimm endlich an das theure Loͤſe-
geld, und gib mich zuruͤck dem Vater, dem Gelieb-
ten —“ Mit unmuthiger Bewegung wandte ſich
Alvaro und ging raſchen Schritts in die Hoͤhle.
Alvaro, der Raͤuberhauptmann, hauſete in
dieſem Gebirge, nachdem er einige Jahre in den
Pyrenaͤen umhergeſchweift war. Alle Verſuche,
ihn zu beſiegen, waren bisher an ſeiner Liſt und
Tapferkeit geſcheitert. Feindſelige Schickſale hat-
ten ihn fruͤher verfolgt. Er beſaß Edelmuth
bei heftiger Leidenſchaft. Dieſen bewies er auch
in dem unſeligen Stande des Raͤubers. Un-
ter den ihm treu ergebenen Schaaren hielt er die
ſtrengſte Zucht. Kein Wehrloſer durfte verlezt wer-
den; nur gegen gewaffneten Widerſtand erfolgte der
Kampf. Wer angefallen ward, behielt immer die
Haͤlfte ſeiner Habe; der Wenigbeſitzende ging un-
beraubt ſeines Wegs. Oft ſpendete Alvaro den

Armen und Nothleidenden Huͤlfe. Er war ein Mann
von vierzig und etlichen Jahren, groß, ſtark und

von edlem Anſehn. Kuͤrzlich hatten einige ſeiner
Genoſſen die junge Elvir a, die Tochter des Land-
richters der Provinz a Mancha, eingebracht.
Sie wollte nach Toledo reiſen, und ihre Begleitung
ward von den Raͤubern verjagt. Dem Vater wur-
de ihr Schickſal kund. Er ließ dem Fuͤhrer der Bande
eine ungeheure Geldſumme fuͤr ihre Freilaſſung bie-
ten. Aber Elvira's Schoͤnheit, Anmuth, und
noch mehr die Aehnlichkeit mit einer Geliebten, die
er fruͤhe verlor, entflammten Alvaro's Herz fuͤr
die Jungfrau. Sie war die Verlobte eines vorneh-
men Offiziers von den koͤniglichen Karabiniers. Dieſe
Nachricht goß den bitterſten Wermuth in den Kelch
ſeiner Leidenſchaft. Mit heftig klirrendem Tritt
ging er in der Hoͤhle auf und ab; er hatte ſich wieder
 
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