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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 71-78 (September 1822)
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Charis.

Rheiniſche

Morgenzeitung

uen d

Bote vom NRNeckar und Rhein.

Vereinigtes Unterhaltungsblatt fuͤr gebildete Leſer.

Nꝰ 72.

Sage von der Veſte Gottesberg.

Fortletzun g—

8.
Boten aus der unterwelt.
Nach zwanzig Tagen gab mir der Abt das Zeug-
niß, daß ich alle die Kunſtſtuͤcke, ſo er mich ge-
lehrt, wohl erlernt habe, und daß er mich nun
entlaſſen koͤnne. Alles ging dabei ganz natuͤrlich

zu, und in langen Winterabenden will ich euch

mit vielen ſolchen ſogenannten Zaubereien kurzwei-

len, und euch dabei ſagen, wie man ſie hervor-

bringen kann. Am Morgen des ein und zwan-
zigſten Tages that der Abt mich an mit einer blut-
rothen, ſpitzigen, hohen Muͤtze, darauf waren Ge-
ſtalten, ſchier anzuſehen, wie man abbildet die boͤ—⸗
ſen Geiſter aus der Hoͤlle — Gott ſey bei uns!
— Auch vermummte er zu gar furchtbaren Ge-
ſtalten meine beiden Knappen, die ebenfalls von
ihm viele Kunſtſtuͤcklein erlernt hatten, auf daß
ſie mir Huͤlfe leiſten konnten, und dann ſprach er:

„Nun ziehet hin mit Gott! In kurzer Friſt faͤllt der

Raͤuber Leupold!“
Bewußt war ich mir, daß ich nach einem Ziele
rang; wohlgefaͤllig Gott und den Menſchen biedern
Sinnes; darum trat ich — als Zauberer — mit
Zuverſicht und chriſtlichem Vertrauen den Weg an
zu der Veſte Geierſtein, jezt benamet Got-
tesberg.
An dem Fuße des Felſenbergs — da fand ich
Euch, edle Frau Bertha! — daß Gott ſich er-

Samstag, den 7. September,

1822.

barme! — gar ſchwach und krank, doch obſchon
Ihr ganz bleich und abgezehrt dort ſaßet auf ei-
nem Eichenſtock, an dem Pfade, der hinauf gelei-
tet auf die Veſte, ſo erkannte ich Euch doch alſo-
bald. Aber Ihr moͤget Euren Geiſt wohl ſchon
weit abgezogen gehabt haben vom irdiſchen Weſen;
denn Ihr blicktet nicht auf zu mir; aber das war
mir lieb, weil Ihr erſchrocken ſeyn wuͤrdet vor
meiner widerwaͤrtigen Vermummung. — Ich trug

Euch in Eure kleine Huͤtte, reichte Euch von dem

heilenden Safte, den der Abt zu preſſen verſteht
aus vielerlei Kraͤutern und Wurzeln, und mit dem
ich wohl wieder den geneſen laſſe, der ſchon halb
todt iſt; darauf legte ich ſechs Stuͤcklein Goldes
in Eure zitternde Hand, ſprach: „Labt Euch durch

dieſe kleine Gabe, aber laſſet mir nicht nachfor-

ſchen; man findet mich doch nicht, und ſo ſchied
ich recht wehmuͤthig von Euch. Daß ich Euch nicht
meinen Namen nannte? Ach das ging mir ſelbſt
nahe, denn ich haͤtte Euch dann auch noch ſtaͤrken-
de Worte des Troſtes ſagen koͤnnen. — Aber mich
hatte ia Eid und Handſchlag gebunden, ver-
ſchwie gen zu ſeyn, bis zu der entſcheidenden
Stunde! ö ö
Still, aber inbrunſtig dankte ich Gott, daß ich
der edlen Frau Be rtha zur Linderung ihres Elen-
des hatte beiſpringen kͤnnen, und nun ſtieg ich
mit meinen treuen Dienern, noch ſeſtern und hoͤ—
hern Muthes, dreiſt hinan den Felſenpfad. —
Viele Warnungszeichen begegneten mir auf dieſer
ſteilen Bahn; aber ich achtete nicht des Zauber⸗ und
Koboldſpucks, deſſen ich wohl noch beſſer kundig
 
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