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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 97-104 (Dezember 1822)
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Charis.
Rheiniſche Morgenzeitung

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Bote vom Neckar und Rhein.

Vereinigtes Unterhaltungsblatt fuͤr gebildete Leſer.

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N 103.

IIIIII &Æè?

Chriſtnacht.

Auf Bethlehems Fluren — tief ſchwebte die Nacht.
Noch über den Weiten der Erde —
Da haben einſt fromme Hirten bewacht
Den Frieden der müden Heerde.
Und gen Oſten ihr Auge mit Sehnſucht ſchaut —
Gen Oſten — aus dunkelem Thale,
Ob wieder der bräutliche Morgen graut
Ob er komme in goldenem Strahle.

Und mit Einmal leuchtet's in nächtlicher Zeit,
Gleich dem Glanze an ſonnigen Tagen; —
Die Hirten, im Lichte der Herrlichkeit,
Begannen zu fürchten, zu zagen.
Doch ein Engel in Liedestönen ſpricht —
Geſchmücket mit ſtrahlendem Kleide —:
„Ihr Hirten ! o fürchtet — o zaget nicht!
Ich verkünde euch große Freude!
Zur Stunde der Heiland geboren iſt,
Ein Kindlein in dürftigen Hallen, — ö
Der Herr in David's Stadt — Jeſus Chriſt!
Den Menſchen ein Wohlgefallen!“
Da hörten's die Hirten, wie Gloria-Sang,
In des Himmels Höhen erſchallen; —
In Bergen und Thälern es widerklang.
Gen Bethlehem eilend ſie wallen;

Und ſie fanden das Kindlein, — in Hütten klein, —
In weiße Gewande gehüllet,
Und bei ihm Maria, die Mutter ſein! —
So ward die Verheißung erfüllet.
Dr. Wild.

————— ———— — — ———— — — — — ——.,aͤ —.......8

Roſettens Engel.

Die

ö Beeſch hu ß.
Der Paſtor bertrauerte ſeine Tage in ſtiller
Melancholie. Roſette war der Pflege einer alten

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Mittwoch, den 25. Dezember,

EDII

1822.

- -

treuen Verwandtin uͤberlaſſen, die des Kindes
Herz mit ſchoͤnen Tugenden, ſein Gemuͤth mit ſelt-
ſamen Maͤhrchen ſchmuͤckte. Roſette „immer das
Aug der Seele nach beſſern Welten gerichtet, be-
rechnete das All der Welt nach ihres Dorfchens
Grenzen; ohne Geſpielen ihres Alters zu haben,
lebte ſie unter ihren Blumen die ſie mit ſorgſamer
Liebe pflegte. Mit ihrem liebſten Schmuck, mit
Lilien bekraͤnzt, glaubte man einen zweiten Obe-
ron zu ſehen, wenn man das anmuthige blonde
Lockenkdpfchen, am kleinen Teiche ſitzen ſah, von
ihren Tauben umgeben, denen ſie mit kindlicher
Sorge, Futter und Liebkoſungen ertheilte. Auch
das Grab der Mutter ward nicht vergeſſen; taͤg⸗
lich wallte ſie zu dem kleinen Raſenhuͤgel, und er-
quickte die ſchmachtenden Blumen, auch ward der
Stein in Kreutzesform, mit einem friſchen Kranze
geziert. Einſt als ſie wieder an dem ihrem Schmerze
ſo heiligen Grabe kniete, und betete, und das
kleine Herz in Schmerz und Sehnſucht zu zerſprin-
gen drohte, toͤnte ploͤtzlich eine ſanfte Stimme zu
ihren Ohren: Was weinſt du denn armes Maͤdchen?
Roſette blickte auf, und ſchauerte in ſuͤßem
Schrecken zuſammen, denn vor ihr ſtand ein wun-
derholder Knabe, ſchoͤn wie ein Liebesgott, wie
eine dichteriſche Malerphantaſie die Genien auf
Leinwand zaubert. Dunkle Locken durch welche ſich
ein Silberband ſchlang, fielen auf alabaſterweiſſe
Schultern herab, die nur leicht durch ein Florge-
wand, welches ſich in tauſend Falten an den ſchlanken
Koͤrper ſchloß, verhuͤllt waren. Einereiche Brillant-
agraffe hielt das Gewand feſt. Seine eine Hand
hielt ein koͤſtliches ſilbernes Trinkgeſchirr, die an-
dere einen Kranz der auserleſenſten Blumen.
Roſette druͤckte die gefalteten Haͤnde feſter auf
die Bruſt, und ließ die entzuͤckten Blicke, im ſuͤßen
Schauen verloren, auf der holoͤen Erſcheinung
ruhen. ö
Was weinſt du denn? wiederholte der Knabe
noch einmal, und neigte ſich liebkoſend zu ihr.
 
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