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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 44-52 (Juni 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

F F ⏑⏑⏑᷑᷑⏑᷑⏑m nôů—..

Ne 48. Samstag, den 15. Juni, 18⁵2.

Unterhaltungen
Badegeſellſchaft.
Sertfesuns.
ö 3.
„Zur Zeit des prachtliebenden Lorenzo von Me-
dicis gab es unter derjenigen Klaſſe der Buͤrger
von Florenz, welche den niedrigern Staͤnden naͤher
ſtehen als den hoͤhern, eine Reihe von Maͤnnern,
die ſich durch die Originalitaͤt ihres Karakters, durch
ihre froͤhlichen Streiche, und durch ihren kecken
Witz auszeichneten, und damit die Geſchichte des
Ta ges belebten.
Obgleich nicht von dem Umgang mit den erſten
Buͤrgern des Staats ausgeſchloſſen, gefielen ſich dieſe
Maͤnner doch am beſten in der ungebundenen Sitte
der niedrigen Staͤnde. Sie waren beinahe alle
Abende in den oͤffentlichen Weinhaͤuſern zu finden,
wo ihre luſtigen Einfaͤlle unter den vielen Gaͤſten,
die durch ſie herbeigezogen wurden, reiche Anregung
und Nahrung fanden. Die Wirkung auf ihre Sitten
blieb dabei natuͤrlich nicht aus, und man mußte
dieſen Maͤnnern viel nachſehen, um uͤber ſie lachen
zu konnen.
Einer derſelben war der Arzt Manente, wel-
cher ſchon wegen ſeiner Wiſſenſchaft einer Freiheit
des Umgangs genoß, die ſich die Aerzte uͤberall mehr
oder weniger zu Nutz machen. Manente miß-
brauchte dieſelbe aber in einem ſo hohen Grade, daß
ſein Karakter als Arzt und als witiger Kopf nicht
immer zu ſeiner Entſchuldigung ausreichte. Er hatte
es daher bald ſo weit gebracht, daß er nirgends
mehr willkommen war, als bei ſeinen Zechbruͤdern
in der Weinſchenke; aber je laͤſtiger er Andern wur-
de, deſto weniger ſchien er es ſelbſt zu fuͤhlen.
Lorenzo von Medicis, weicher allen gu-

ein er

ten Köpfen freien Zugang zu ſich, und die freund-
lichſte Aufnahme an ſeiner Tafel geſtattere, hatte
den Arzt Manente vergebens durch manches ſtarke
Wort in die Grenzen der Beſcheidenheit und des
Anſtandes zuruͤckzuweiſen geſucht. Er ſchien jedoch
vollig taub gegen dergleichen Warnungen, und be-
merkte ſogar nichts in dem Betragen Lorenzo's,
obgleich alle andere Gaͤſte fuͤhlten, was ihm die
ſuͤrſtliche Tafel haͤtte entleiden ſollen. Der Fuͤrſt
beſchloß daher, die naͤchſte Gelegenheit zu benutzen,
um ihm eine Lehre zu geben, deren Eindruck er ſo-
bald nicht verwinden ſollte.
Eine ſolche Gelegenheit bot ſich in dem unordenk-
lichen Leben des Mannes fruͤh genug dar. Ma-
nente hatte ſich naͤmlich eines Abends in der
Weinſchenke dermaßen betrunken, daß er nicht mehr
auf ſeinen Beinen ſtehen konnte. Da es Mitter-
nacht war, wollte der Wirth ſein Haus ſchließen.
Er ließ den Betrunkenen daher durch ſeine Leute
hinaus ſchleppen, und auf eine ſteinerne Bank an
der Straße legen.
Hier hatte er kaum Platz genommen, als einer
von Lorenzo's Hausgenoſſen voruͤberging. Bei
dem Schein einer Laterne, die er trug, erkannte er
den Schnarcher fuͤr den Arzt Manente, und er-
ſtattete ſeinem Gebieter noch in derſelben Nacht Be-
richt von dem Funde, welchen er gemacht hatte.
Loren zo hoͤrte dieſe Erzaͤhlung ſchweigend an,‚
und ſchuͤttelte blos das Haupt. Er gab aber gleich
nachher einigen ſeiner vertrauteſten Leute Befehl,
ſich zu vermummen, und den Betrunkenen in den
Pallaſt zu holen. ö
Dieſes Geſchaͤft wurde augenblicklih ausgefuͤhrt.
Manente kam zwar etwas zu ſich, als er ziemlich
derb angefaßt wurde; ſiel aber ſogleich wieder in
 
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