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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 71-78 (September 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0371

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Charis.

beiniſ

Morgenzeitung
uen d

Bote vo m Neckar

und Rhein.

Vereinigtes An r gebildete Leſer.

— ———— — — — ——

No 76.

Samstag den 21.

———— e —

4——½ 1822.

Æ Æ ÆÆÆÆ — — IIꝗIꝗIIꝗIIIEII‚IEE — ————— I

Die Auferſtaendeenn e—
B e ſch l u 6
8.
Appenzelt, den 31. Deebr. 1793.
Theodor von Irwin an 2 udwig von Pirk.
Die ſchweigſame Ruhe der Nacht umgiebt mich,
es iſt die lezte Nacht des ſcheidenden Jahres; und
wie koͤnnte ich ſie beſſer anwenden, als indem
ich noch einmal einen Blick auf dieſen gewiß merk-
wuͤrdigſten Zeitſchnitt meines unruhigen Lebens
werfe, und durch treue Erzaͤhlͤng meines began-
genen Unrechts und meiner Schwaͤche Dich, meinen
einzig wahren Freund, von dem Vorſatz der Beſ-

ſerung, welchen ich gefaßt habe, zu uͤberzeugen

uche.
Ja, Freund, i hatte ſehr gefehlt gegen mich,
gegen mein geliebtes Weib, ſelbſt gegen Gott;
denn ich habe die zaͤrlichſte Liebe mit Untreue
gelohnt, und das Ungeheuer der Leidenſchaft hat
den Sieg bei mir uͤber den guten Geiſt der Pflicht
und Tugend errungen.
„Wie,“ wirſt du fragen, „konnte Irwin einem
Weibe untreu werden, daß ihm Vater und Vater-
land, Ruf und Freunde aufopferte, und das ſich
ihm in Unſchulde, Liebe und Vertrauen hin-
gab? — “
Ach, weh mir, daß ich es konnte! weh mir,
daß ich nur einen Fingerbreit die Kreiſe des haͤus-
lichen Friedens und haͤuslichen Gluͤcks uͤberſchrei-

ten konnte, welche die beſte Gattin um mich zu

ziehen wußte. Freilich bin ich dafuͤr geſtraft und

hart geſtraft worden aber kann Strafe je die

Schlachtopfer der Suͤnder entſchaͤdigen?

Erlaß mir, Freund, die umſtaͤndliche Erzaͤhlung

meiner Untreue, denn ich denke nur mit hoͤchſtem

Unwillen an jene Zeit, zZwo ich fehlte, zuruͤck. Glau-
be jedoch nicht, daß mein Umgang mit dem Ge-
genſtande meiner Nebenliebe von der Art gewe-
ſen waͤre, daß ich ihn nicht ohne Schamroͤthe nen-
nen köͤnnte; nein, ſo tief ſank ich wahrlich nicht;
aber iſt es nicht ſchon genug zur Suͤnde, wenn

man die gute, in demuͤthiger Tugend wirkende

Gattin einer ſtolzen, anſpruchvollen Schoͤnheit
nachſezt, und jene uͤber dieſe vernachlaͤßigt!
Wollte denn doch der Himmel jedem Ehemanne,
wie mir damals, eine eben ſo harte Pruͤfung zu-
ſchicken; doch nein, denn viele wuͤrden ſie wohl

nicht ertragen koͤnnen. — Denn, hoͤre und ſtau-

ne! an einem Abende erkrankte meine Maͤrie, und
am naͤchſten Tage lag ſie im Sarge.
Doch, weg mit dieſem ſchmerzlichen Bilde, das
in der jetzigen⸗Stunde der Nacht ſich grauenvoll ge-

ſtaltet; genug ſie war mir zentriſſen, und die Ver-

blendung des Satans, welche mich fuͤr ein unwuͤrdi-
diges Weib umfing, zerſtob ploͤtzlich; und mit ver-
waiſtem, blutendem Herzen fand ich mich, den un-

wuͤrdigſten Gegenſtand der Schoͤpfung, allein in der
Oede meiner Gefuͤhle. —

Nur ein Andenken meiner Liebe war mir in mei-
nem kleinen Theodor geblieben, und ſeine kindliche
Unſchuld, ſein liebliches Laͤcheln erheiterten mich,
wenn der ſchwarze Fittig der Schwermuth mein Ge-
 
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