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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 62-70 (August 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0319

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Charis.

Rheiniſche

Morgenzeitung

uen d

Neckar

uen d Rhein.

Bote vom

BVereinigtes Unterhaltungsblatt für gebildete Leſer.

'ww“- *

Ne 66.

Samstag, den 17. August,

F F &

1822.

Æ e& ꝗÆe

D i e Aunferr ſtanndeene.

Sortiesung.

2.
Berlin, den 31. Debr. 1789.
Marie Kraft an Sophie von Miltitz.
Als mich in meinem zehnten Jahre meine gute
ſelige Mutter mit einer niedlichen Wachspuppe be-
ſchenkte, da empfand ich eine große Freude, und
faßte eine Liebe fuͤr mein waͤchſernes Kind, deren
Ruͤckerinnerung mir noch jezt angenehm iſt; als
ich nachher meine guten Eltern zu ſchaͤtzen ver-
ſtand, da war die hohe Achtung fuͤr ſie meiner
Liebe gleich, die mir weder Zeit noch Umſtaͤnde
iemals rauben koͤnnen, und als endlich vor zwei
Jahren ein wuͤrdiger Geiſtlicher den großen Ge-

danken an Gott, an Welt und Unſterblichttich

e ließ, und wie ich dann am Altare de Werrn

feierlicher Ruͤhrung das chriſtliche Bekenntniß
ablegte, o da fuͤlle namenloſe, uͤbed Raum und
Zeit hinausreichende Liebe mein ziiterndes Maͤd⸗
chenherz, und ich haͤtte in dieſen uͤberſeligen Ge-

fuͤßslen ſterben konnen, denn ich empfand nie ſtaͤr⸗

ter die Gottheit in meinem Gemuͤth. — Und
doch, Sophie, doch glaube ich, es giebt noch eine
Liebe die dieſer lezteren wenn nicht gleich iſt,
ihr doch ſehr nahe kommt; ich meine die Liebe,
welche der Schoͤpfer dem Mädchen fuͤr ſeinen Juͤng-
ling mitgiebt.
aſt ſchaͤme ich mich dieſer Aeußerung, und be-
greife mich ſelbſt nicht, wie ich ſie wohl⸗ nieder-
ſchreiben konnte; aber wenn ich bedenke, daß ſie

doch wahr iſt, und daß dieſen Brief niemand wei-
ter zu Geſicht bekommt, als Du, meine Herzens-
freundin, ſo will ich ihn nicht zerreißen, wozu ich
ſchon die Finger angeſezt hatte, ſondern ihn auf
Gnade und Ungnade Deinem Herzen uͤbergeben,
das mich wohl verſtehen und das auch die folgende
Geſchichte treu bewahren wird.
Vor etwa drei Monaten kam ich eines Sonn-
tags mit meinem Vater aus dem hieſigen Dom,
und da ein herrlicher Herbſttag war, ſo ſpatzierten
wir durch die Linden, zum Brandenburger Thore
hinaus nach den Zelten, wo wir ziemlich ſtarke
Geſellſchaft fanden, und uns niederſezten. Mein
Vater hatte mich eben auf einige Augenblicke ver-
laſſen, um einen alten Freund, den er erblickte,
naͤher zu bringen, als ſich ein Tumult erhob, und
man einen wohlgekleideten jungen Mann bei mir
vorbei und nach Hauſe brachte, der ſtark am
Kopf blutete und halbohnmaͤchtig ſchien. Ich er-
ſchrack, ſprang auf, griff nach einem Riechflaͤſchchen
(ohne das ich nie ausgehen darf,) und nach mei-
nem Taſchentuche, und indem ich beides dem ei-
nen Fuͤhrer des Blutenden gab, erſuchte ich ihn
ſolches fuͤr dieſen zu benutzen. Kurz darauf kam
mein Vater, und erzaͤhlte, daß der junge Mann
beritten geweſen, von ſeinem Pferde aber, das
ſchen geworden, herunter und gegen einen Baum
geſchleudert worden waͤre. 4
Vierzehn Tage darauf fuhr ich mit der alten

Tante Huber zum Hofgaͤrtner, einem oͤffentlichen

Beluſtigungsort im Thiergarten. Sie hatte ihren
kleinen Bologneſer Schooßhund mitgenommen, der,
 
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