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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 10-17 (Februar 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

4— Ʒꝗ ——————

Nꝰ 10. Samstag,

Der Mann am Ufer.

Ein Glöcklein tönt im düſtern Wald,
Durch Berg' und Thal die Stürme ſauſen,
Und an den Felſen, mit Gewalt,
Des Stromes Wellen hörſt du brauſen.
Von Burgruinen dröhnt daher
Der Eule Rufen dumpf und ſchwer.

Dort bricht des Mondes blaſſer Schein
Durch flieh'nder Wolken falbe Ritze,
Er leuchtet in die Nacht hinein
Und zeigt, vom hohen Sternenſitze,
Den Mann am Ufer, kummerbleich,
Den Blick geſenkt ins Todtenreich.

Delphinen ziehen ab und auf,
Sich freuend an der Wogen Tanze;
Des Fluſſes Nymphen ſitzen drauf/
Sie ſpielen froh im Mondesglanze,
Und hüpfen um den Mann herum —
Er aber ſtehet ſiarr und ſtumm.

„Zu uns herein!“ — erklingt-es ſchnell
Vom Mund der lockenden Syrenen —
„In unfrer Wohnung, ſilberhell,
„Stillt ſich des Buſens glühend Sehnen.“ —
Und ihn ergreift ein freud'ger Graus,
Die Hände ſtreckt er flehend aus:

•O hemmet meiner Tage Lauf,
„Mein einzig Kind hab' ich verloren!
„Das Leben ging mir herrlich auf,
„Als mir der Knabe ward geboren;
„Des Todes Arm hat ihn erreicht —
„Der Stern des Lebens ſieht verbleicht.

„O gebt den Knaben mir zurück,
„Entrafft in zarter Jugenddlüthe!
»„Mein einzig Kind gebt mir zurück,
„Wie es im Morgenſchimmer glühte!
»Es war des Vaters einz'ges Glück —
„Mein einzig Kind — o gebt's zurück!“ —

———4—9——



den 2. Februar 13822.





Von tiefem Mitleid ſchwoll das Herz
Der ſanften Nymphen bei den Worten,
Sie mö chten lindern ſeinen Schmerz
Mit ihrer Stimmen Klagakkorden;
Doch ſeine Bruſt bleibt hoffnungsleer —
Er ſieht in's Waſſer trüb' und ſchwer.

Und birgt den Staub der Erde Schooß,
Giebt ſie den Todten dir nicht wieder;
Der Seele blüht ein ſchönres Loos:
In unſre Wohnung ſteig' hernieder. —
Ihr Finger theilt des Stromes Lauf —
Der Himmel thut ſich vor ihm auf:

Des Vaters Blick in Fernen dringt,
Das tiefgeliebte Bild zu ſchauen:
Er ſieht, er ſieht es, goldbeſchwingt,
Auf Paradieſes Blumenauen, ö
Er hört der Stimme trauten Klang:
Gott preiſ't der Engel Lobgeſang.

Durch Myrtenzweige geht ein Pfad,

Ein duftend Meer ſich weithin breuet;
Der Nymphen eine zu ihm trat:
„Zu mir herein, die dich geleitet!“
Nickt ſchmeichelnd ſie zu ihm empor,
Und einen Delphin führt ſie vor.

Und durch den Buſen blizt ihm ſchnell
Ein nie empfundenes Entzücken
Vor ſeinem Geiſt wirds ſonnenhell —
Er ſchwingt ſich auf des Delphins Rücken/
Und durch der Fluthen blauen Glanz
Hüpft ſpielend des Delphines Tanz. —

Oft tönt das Glöcklein in dem Wald/

Durch Berg und Thal die Winde ſauſen,
Und an den Felſen, mit Gewalt,
Des Stromes Wellen hörſt du brauſen,
Delphinen ſchwimmen auf und ab:
Den Vater deckt das naſſe Grab.
Heyta.

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