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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 71-78 (September 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0355

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Charis.

Nheintſche Morgenbeitune

uUnd

Bote vom Reckar mn d Rhein.

Vereinigtes unterbaltansebiat fuͤr gebildete Leſer.

Ne 73. Mittwoch, den 11. September, 1822.

— FIUUIIIIJά⏑—άκ—— ———— &᷑ .—‚‚. ——

Di e Aufer ſt an dene.

6.
Derſelbe an Dieſelbe.
In meinem vorigen Briefe ſpielte zulezt der Tod
eine bedeutende Rolle, in dieſem ſollſt Du einen
Vorgeſchmack der Auferſtehung haben.
Die gnaͤdige Frau war alſo todt, und blieb
todt, wenigſtens erklaͤrte dieſes der durch einen
reitenden Boten fuͤnf Meilen weit hergeholte Arzt.
Wie manchmal der Senf arſt nach der Mahl-
zeit kommt, ſo bekam auch der gnaͤdige Herr erſt
jezt, wo es zu ſpaͤt war, einen Liebeskoller, der
ihn, uͤber den Verluſt ſeiner ſeit Monaten vernach-
laͤſigten Gattin, faſt zur Verzweiflung trieb. Die
Madamſell wollte er nicht mehr mit dem Ruͤcken
anſehen, geſchweige mit den Augen; und ſie, die
nun wohl gewahr wurde, daß ihre Rolle hier aus-
geſpielt ſey, packte ſachichen ihre Lumpenflitter ein,

legte die ſchoönen Geſchenke des gnaͤdigen Herrn

dazu, und ſchickte ſich an, ſich aus dem Staube
zu machen. Aber welchen Schreck bekam ſie, als
iuſt noch zur rechten Zeit ein Paar Polizeibeamten
ins Haus traten, wovon der eine, welcher die
franzoͤſiſche Fliege ſchon zu kennen ſchien, ihr zu

bleiben ge bot, waͤhrend der andere ſich an meinen

Herrn wandte, und indem er dieſem einen Steck-
brief und einen Verhaftsbefehl vorzeigte, zugleich
auswies, daß das gute Kind aus einem Zuchthauſe

entſorungen fey, worin ſie, als die Madonna und

Mitſchuldige eines Raͤubers ein Jahr gefeſſen hat-
te, und nai noch neun Jaͤhrchen ſi ſitzen ſollte.

Die Leiche meiner gnaͤdigen Frau wurde, nach-
dem ſie drei Tage zur oͤffentlichen Schau geſtan-
den hatte, endlich in die Familiengruft auf dem
Kirchhofe beigeſezt, welche mein Herr vor einem
Jahre, bei dem Abſterben eines zwei Monate alten
Junkers, erkauft hatte. ö
In der Nacht, welche auf die Beiſetzung der Lei-
che folgte, traͤumte mir, als ſehe ich den Deckel des
Sarges meiner Herrin ſich bewegen, und ihn end-
lich mit großem Geraͤuſch herunter auf den Boden
fallen. Ich ſchrak daruͤber aus dem Schlafe auf,
aber auch noch wachend war es mir, als höre ich
das Nachtonen des dumpfen Falls. — Nun ſieh,
Liſettchen, da dacht ich ſo bei mir: wie, Hein-
rich, wenn deine gnaͤdige Frau noch nicht todt waͤ⸗
re, wenn dein Traum mehr als Traum iſt, koͤnnte
ſie nicht lebendig beigeſezt ſeyn, und du ü
ihr Retter werden?
Kaum hatte ich dies ausgedacht, als ich mit ei-
nem Satz aus dem Bette ſprang, mich bekleidete,
eine Laterne und die Schluͤſſel zur Gruft ergriff,
und bereits auf dem Wege war, ehe ich noch meine
Beſinnung geſammelt hatte. In eben dieſer beſin-
nungsloſen Eniſchloſſenheit offnete ich die Thuͤr des
Gewoͤlbes, aber wie bebte ich zuruͤck, als ich wirk-
lich den Deckel des Sarges, der nur aufgelegt,
aber nicht aufgenagelt worden war, an der
Erde und die Leiche aufrecht ſitzen ſah.
Was ich in den erſten Augenblicken ſprach und
that weiß ich nicht mehr, daß ich aber den unter-
thaͤnigen Gruß vergeſſen haben mag, glaube ich
wohl, und eben ſo, daß ich ſie nicht mit den Wor-
 
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