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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 35-43 (Mai 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0183

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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

——— .———

Ne 38.

Samstag,

*

Des ijungen Eſſer Ritterfahrt.

Eine hiſtoriſche Novelle von La Motte Fouqus.
Beſch lu 6.

7.
Mit freudig klopfender Bruſt der Huld ſeiner gelieb-
ten Koͤnigin gedenkend, und alle die holden Zeichen
derſelben wieder in ſeinem Herzen hervorrufend,
waͤhrend zugleich Hoffnungen ſtolzerer Art vor ſei-
nem ehrgeizigen Sinne aufſtiegen, und ihn bald an
die Spitze ſiegreicher Heere, bald wohl gar an Eli-
ſabeths Seite noch unermeßlich hoͤher ſtellten, —
ging Eſſer durch das ſchon tiefe Abenddunkel hin,
um den nahen Wohnſitz eines Freundes, wo ſein
Gefolg ihn mit den ausgeſchifften Roſſen erwarten
ſollte, zu erreichen. Schon unfern dem befreundeten
Thore fuͤhlte er ſich ploͤtzlich von wunderlichen Lie-
destoͤnen gehalten, welche aus den ſeitwaͤrts liegen-
den Truͤmmern einer uralten Abtei zu ihm hernie-
der drangen. Die Stimme hatte bei allem Unheim-
lichen etwas Ruͤhrendes, und indem ſie ihren Ge-
ſang mehrmal wiederholte, war es ihm, als hdre
er ſeinen Namen darin. Wie nun ein edles Ritter-
herz ſich wohl nie aufgelegter fuͤhlt, ernſtwunder-
baren Abentheuern zu begegnen, als wo es noch
umleuchtet vom Nachſchimmer holdlaͤchelnder, ge-
liebter Blicke ſtrahlt, wandte ſich Eſſer raſch und
leiſe huͤgelan, das ſingende Weſen unter den Truͤm⸗
mern zu belauſchen. Im Naͤherwandeln toͤnten ihm
folgende Worte entgegen: ö

5 Ich ſah einen luftig hohen Baum
Im Gau von Eſſer;
Der blühte ſo ſchön, wie ein ſüßer Traum —
Hieß Rohert Eſſex!

den 11. Mai,

NN&

mmm˖“---

1822.

& ⏑ —4.— .

„Ich ſah einen Falken wunderſtark;
Der ſlog über Eſſer,
In Fängen und Schwingen Heldenmark —
Hieß Robert Eſſer!

Ich ſah ein Streitroß kriegeriſch braun;
Das weidet in Eſſer/
Und ſprang hochhin über Wall und Zaun —
Hieß Robert Eſſex! —
„Ein Holzfäller ſchleift ſein Beil ganz ſacht,
Und ſpäht gen Eſſex,
Und denkt an den Baum ſo Tag als Nacht —
Weh, Robert Eſſek!

„Ein Koch, der ſchleift ſeinen Küchenſtahl,
Und lauſcht gen Eſſer.
Der briete den Falken gern zum Maͤhl —
Weh, Robert Eſſer!

5„Ein Noßkamm hat eine Axt ſo ſcharf,
Und ſchleicht um Eſſer /
Der neidet, was er nicht zäumen darf —
Weh, Robert Eſſex!

„Baum, Falk' und Roß, Ihr prangtet ſo hell,
Wie die Grafen von Eſſex!
Die prangten oft hoch, die fielen oft ſchnel —
Weh, Robert Eſſer!“ —

Vor dem Sternenlicht, wie es durch die Truͤmmer-
bogen hereinfiel, hatte der Graf alsbald Don An-
tonio's Zigeunerin wiedererkannt; er ließ ſie ruhig
ihr Lied vollenden, aber als nun deſſen lezte Schwin-
gungen zwiſchen den mooſigen Mauern verhallten,
und die ganz in ſich zuſammengekauerte Geſtalt
ſchwieg, trat er laͤchelnd vor ſie hin und ſagte:
„Sennora Aeghptiana, Eure Weiſſagerkunſt hat
Euch diesmal ſchmaͤhlich betrogen. Seht den Robert
Eſſer vor Euch ſtehn und vernehmt aus ſeinem ei-
genen Munde, daß er nie feſter ſtand, als eben
 
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