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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 44-52 (Juni 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0235

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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Ne 50.

Samstag,

Prinzeßchen Eufroſine
im g Häſernen Berg-

Heſſiſches Kindermährchen.
Cortſetzung.

Nun war es ſchon drei ganze Jahre im Schloſſe und
immer fragte es nach dem Prinzeßchen, wie es doch
endlich einmal mit ihm ſpielen kͤnnte.
Da ſagte der Oberkoch, das Prinzeßchen iſt jezt
gar nicht hier, es ſizt jezt im Landgrafen Garten
unter einem bluͤhenden Kirſchenbaum und ſpielt mit
ſeinen Puppen und ſeine Amme iſt bei ihm, die er-
laubt gar nicht, daß ein ander Kind mit ihm ſpie-
len darf — das ſagte er aber blos, um es abzu-

halten — weil er dachte, daß es den Weg, der
ſehr weit war, nicht fſinden und auch ſich fuͤrchten

wuͤrde, hinzugehen, und ſo ging er wieder zur
Stube hinaus. Froſinchen aber ſezte ſich ganz trau-
rig naus in den hellen Sonnenſchein — denn es
war noch fruͤh am Morgen und in den Gebuͤſchen
umher lockten die Voͤgel, da ſtreute es die Brod-
kruͤmchen von ſeinem Fruͤhſtuͤck vor ſich hin und alle
kamen ganz zahm herbei, pickten ſie auf, und
zwitſcherten: „Froſinchen, Froſinchen, Brodkruͤm⸗

chen, Brodkruͤmchen!“ und flogen dann wieder weg,

ohne ſich um das Kind zu bekümmern; aber einer
blieb und kam ganz nahe vor ſeine Fuͤße, drehete
das Haͤlschen hin und her, und ſang:
„Froſinchen hier/
Brodkrümchen mir/
Du biſt mein Schätzchen!
Fliege mit mir, —
Zeige den Weg ö
Zum Prinzeßchen dir.“

„Ach! — ſagte Froſinchen. — lieb Voͤgelchen, wenn

du das koͤnnteſt!“ und holte ſich ſein Sonnenhuͤt⸗

den 22. Juni, 1822.

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chen hraus, und immer flog der Vogel vor ihm her,
und immer kolgte es ihm weiter nach, ſo weit, ſo

weit, bis es mit einmal vor einem eiſernen Gitter-

thore ſtand und in einen dunkeln Baumgarten ſah,
ohne daß es wußte, daß das des Landgrafen Gar-
ten waͤre. Die Thuͤre ſtand nur angelehnt, und
ſo ging es den breiten Baumgang hrunter und der
Vogel brachte es immer tiefer in die Gebuͤſche, durch
welche weiße Marmortreppen auf breite Plaͤtze fuͤhrten,
wo in Baſſineé Fontaͤnchen ſprangen, und Gold- und
Silberfaſanen durch die Buͤſche huſchten. Seltſa-
me Zuͤge mit Buchsbaum eingefaßt, ſchlaͤngelten
ſich uͤber den Sand des Bodens, an den Spalieren
der Mauern ſtanden Pfirſich⸗, Kirſch- und Aepfel-
baͤume bluͤhend in der ſeltenſten Pracht. „Ach,
wie iſt es hier ſo feierlich ſtill, wie ein Sonntag-
morgen, nur die Nachtigallen ſchlagen und die
Voͤglein ſingen, und die Luft iſt lauter Bluͤthen-
und Blumengeruch — dachte Froſinchen — wenn
ich doch das ganze Jahr hier ſehn koͤnnte.“ —
Kurz es geſiel ihr ſo ſehr, und es kam ihr ſo
wunderbar vor, daß Niemand zu ſehen und zu hoͤren
war und nur die Gebuͤſche vernehmlich rauſchten,
als wenn ſie mit einander redeten, daß ſie dachte,
das iſt gewiß der verwuͤnſchte Garten, unter dem
die Zwerge wohnen, von denen mir immer der Koch
im Schloſſe erzaͤhlt hat! ach, wenn ich nur wuͤßte,
wo ich das Thuͤrcheu finden ſollte, büͤs in den Berg
geht, — und ſo ging es immer weiter in den
Garten, bis es auf einen runden Grasplatz kam.
Auf dem Grasplatze weidete eine ganz ſchnee-
weiße Ziege mit langen goldnen Hoͤrnern und mit
blauen, aber ſo ſchoͤnen Augen, wie kein Menſch
ſie haben kann, außer Froſinchen ſelber, das hatte
 
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