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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 53-61 (Juli 1822)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0293

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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung

uen d

Bote von Necar und Rhein.

Vereinigtes Unterhaltungsblatt fuͤr gebildete Leſer.

den 27. Juli,

N 60. Samstag,

A

1822.

Sage von der Veſte Gottesberg.

F ortſeßtzun g.

Zauber.
Oben aͤuf der Burg ſaß in ſeinem Ritterſaale, um-
geben von Siegeszeichen, die er und ſeine Vordern

im Kampfe und auch mit Hinterliſt erobert und hin-

gehaͤngt hatten an die golddurchwirkte Teppichwand;
aber auch umduͤſtert von dicken Duͤnſten, die beim
matten Lampenſchimmer, zu unholden Gebilden ſich
geſtalteten, mie behornten Koͤpfen und Bocksfuͤßen:
ſo ſaß der Rauhgraf Leupold in der eilften Stunde
vor Mitternacht in ſeinem Prunkſaale, und ihm
gegenuͤber ein hochgeſtalteter Greis mit grauemHaupt-
und Barthaare, angethan mit einem langen ſchwar-
zen Gewande, deß Saum roth war, und in der
Hand ſchwang er einen wunderbringenden Stab.
Auch ſaß in der Ecke des Saales Adelheid, gar
ein holdes Maͤgdlein, mit himmelblauen Augen,
goldgelben, tiefherabrollenden Haaren und von lieb-
licher Geſtalt. Die zarte Jungfrau ſah dem acht-
zehnten Lenze ihres Lebens entgegen, ſchuldlos und
ſanft, und — da ſaß ſie in dem umnebelten Saale,
mußte mit roſigen Fingern die Zither ſchlagen und
mit holdſeliger Stimme ein ſanftes Liedlein ſingen

in die dicke Luft. — So hatt' es ihr geboten Leu-

pold, der Furchtbare; denn nur bei dem Geſange
einer Jungfrau, ſo dazu die Zither ſchlagen kann,
hat der Zaubergreis Ruhe vor einem weißen Engel,
der ihm hinderlich iſt, die Wunderzeichen aus der
Unterwelt hervorzurufen.

In dieſer lezten Stunde vor Mitternacht nahete
ſich Hermann von Nordburg — ſo nannte
ſich der Schwarzgeruͤſtete — mit ſeiner theuern Buͤr—
de auf dem linken Arme und ſein ſchirmendes Schwert
in der rechten Hand, den Umgebungen der bezaͤu—
berten Burg. — Mit dem Gefuhle inniger Minne
rief er: „Adelheidd, dein Hermann kommt!“
— da ziſchten viele feurige Schlangengeſtalten hin
und her aus dem dunkeln Haine hervor, uͤber den
Pfad. — Bertha zitterte; aber als Hermann
ſprach: „Mütterlein! was iſt ein Koboldweſen
gegen mein Schwert?“ Da ſchauete ſie ihm wieder
traulich in's Antlitz und ſagte: „Nein Herma un
mir banget nicht!“
Und fuͤrbaß auf der felſigen Bahn, die das Flam-
menſchwert erhellete, trug Hermann das getro-
ſtete Muͤtterlein. — Es oͤffnete ſich der Wald und
ſie kamen vor eine kleine Wieſe. Auf dieſer ſtanden

ſieben Reiſige, wehrhaft angethan und verſehen mit
Speer, Schwert und Streitkolben, die ſangen mit

heiſerer, gar uͤbel getonter Stimme:

„Zurück aus dieſem Zauberhain!
Zurück! — Hinab zum Thale!
Sonſt ladet Rauhgraf Geierſtein
Euch ein zum Todtenmahle.
Es ſchüzt nicht Panzer, Schwert und Schild,
Wenn unſers Meiſters Stimme brüllt!“—

Aber Hermann ſchlug mit dem Flammenſchwerte
das Zeichen des heiligen Kreuzes hoch vor ſich hin,
rief: „Weichet, ſchnode Zauberbuben, ſonſt dernich-
tet euch mein heiliges Schwert!« — und mit kraͤch-
zendem Geſchrei eniflohen die Reiſigen ins Dickicht.
 
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