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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 10-17 (Februar 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

NL 14.





Der Lorbeerbuſch,
oder
Das Nieſen um Mitternacht.

Novelle, von Franz Richter.

„Aber, liebe alte Mutter“, — ſagte Dolce, und
richtete dabei ihr im Glanze der Unſchuld und Sehn-
ſucht ſchwimmendes Augenpaar zweifelnd auf das
quittengelbe Angeſicht der weiſſagenden Zigeunerin,
„aber wenn nun“ —
Je, du blankes Wetterkind, ſollſt mir mit deinem
ſte.en Aber und Wenn vom Halſe bleiben! — er-
wiederte zuͤrnend das Weib, und ſezte dann beleh-
rend und heimlich hinzu: Sieh, du Kryſtallauge,
dein Traum iſt das augenſcheinlichſte Werk deines
güten Geſtirns; du ſelbſt biſt die getraͤumte Roſen-
knospe, die Thauperlen an ihrer Rubinſpitze ſind

Kuͤſſe des Geliebten, und der Nachtfalter der dich

um flatterte, iſt die B.gierde, welche dir nachſtellt;
darum, Kind, wetze die Dornen deiner Vorſicht, und
ſchuͤtze dich mit den Blaͤttern deiner Keuſchheit, denn
Ruzino, der unſaubere Geiſt, ſchwimmt im Daͤm⸗
merſtrahl des Zwielichts, und ſchluͤpft in das warme
Kaͤmmerlein deines Herzens, wenn du es nicht mit
Schloß und Riegel vor ihm wahrſt.
Sinnend, das feine Kopfchen uͤber die Zwil-
lingshuͤgel der jungfraͤulichen Schoͤnheit geſenkt,
ſtand Dolce da, ohne auf das Geſchwaͤtz der
Alten zu merken. Jezt, da dieſe ſchwieg, um
den großen ſchwarzen Kater zu verſcheuchen, wel-
cher mit Luͤſternheit einen Stuhl beim Tiſch ein-
genommen hatte, und eben im Begriff war, mit
ausgeſtreckter Tatze nach den Paſticcietti-Kuchen
zu langen, welche die junge Traͤumerin der Maga

Samstag, den 16. Februar





182².

— ——

mitgebracht hatte — iezt hob ſie ihr Haupt empor,
und fragte:
„Was haben aber der Roſenknospe Wendungen,
nach dem Laufe der Sonne, zu bedeuten, Signora
Lolli??

Frage nicht mich darnach, — antwortete dieſe,
— frage dein Herz, und es wird dir erwiedern:
was der Blume das Licht des Tages, das iſt die
Liebe dem Weibe, ſie erhaͤlt, erwaͤrmt und erhebt es.
Und darum ſchaue du keck ihr ins gluͤhende Auge,
Kind! und ſuche ſie ſo lange darin zu behalten, als
dein inneres, duftendes Weſen ihrem himmliſchen
Strahle Nahrung giebt; denn es iſt dir beſſer dein
Herz verſchwimmt in den Flammenfluthen der Liebe,
als daß es verſinke in den Waſſerſpiegel eiteler Selbſt-
betrachtung.

Doch nun, Dolce, — fuhr die Redſelige fort,
— gehe und thue wie ich dir hieß. Unterdruͤcke
jezt dein aͤrgerliches Aber und Wenn, denn glaube
mir, verſaͤumſt du die morgende, nach der Conſtella-
tion dir ſo guͤnſtige, Nacht zu benutzen, ſo wirſt du den
Geliebten deines Herzens nie kennen lernen, und die
Thautroͤpfchen auf der Roſenknospe wird der gierige

Wurm verſchlingen, der dich ſchon jezt unſcheinbar

umſummen mag.

* 2
*

Wer die Sehnſucht kennt, welche im jugendlichen

Alter, (und zwar zu der Zeit, wann, wie in aͤthe-

riſchem Fluſſe, das Blut uͤber die huͤpfenden Pulſe
ſchaͤumt), die Bruſt hoͤher woͤlbt, um den bedeutſa-

mern Herzſchlaͤgen mehr Raum zu ſchaffen, und die,

im Suchen nach einem menſchlichen Weſen, dem es
mehr als ſich ſelbſt und mehr als der Welt angehoͤ—
ren moͤchte, ein Ideal ſich ſchafft, das am Lager
 
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