Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 1-9 (Januar 1822)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22119#0051

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Charis.

Rheiniſch Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.



Ne 9. Mittwoch,

SI

Der Aprikoſenzweig.
Erzählung, von Thorbecke.

„Das durft' ich erwarten von meinem Wilhelm!
ſagte die Baronin. Gut war er immer; nur zu
reizbar: das hat er von ſeinem Vater.
„Wenn ich ſie bedenke, die Tage unſers gemein-
ſamen Lebens — welch ein Aufruhr im Innern!

Welche ſtuͤrmiſche Bewegung in Lieb' und Haß!

Welche Gewitterſtirn!
„Aber, in ruhigen Stunden — welch ein Zau-
ber der Guͤte! Welch ein Aufblick des Auges!
Was wußt' er nicht zu loͤſen in meiner Seele!
„Und Wilhelm? Im Siillen hab' ich ge-
fuͤrchtet; doch mein Wilhelm kennt die Furcht
einer Mutter! Er kehrt zuruͤck aus Frank-
reich, und hat Paris gemieden! Das
vergeß' ich ihm nicht.
„Einmal, in den ſchoͤnen, ſichern Tagen ſeiner
Kindheit, hab' ich ihm gezuͤrnt ohne Urſach — und
angeſehen hat er mich mit einem Blick voll fragen-
der Liebe, ſo gut, ſo treu — Das hab ich ihm auch
nicht vergeſſen!
„Nun ſchreibt er aus dem Elſaß: „„Ich komme
zuruͤck, beſte Mutter. Geheilt im Herzen? das
darf ich nicht ſagen. Aber arbeiten will ich, ich
will mich tuͤchtig zu machen ſuchen, und mein un-
gluͤckliches Gedaͤchtniß bezwingen!“ꝰ — — — —.
Da iſt etwas geſtrichen im Briefe. ö
„Dieſe Sophie, die es eingenommen, das
Gedaͤchtniß und Leben und Liebe meines Sohns —
ich verſtehe ſie nicht! Waͤr' ich die Mutter So-
phiens, und ein Mann erſchiene, wie Er — —;

L
allein, wir Alle leiden an Irrthuͤmern, und wer

den

DSIIIITRITT

—2———— IIII

30. Januar 1822.

---

kann Weg und Umweg berechnen zu jenem Him—⸗
mel!
„Ich habe ſie gekannt, die Mutter: in guten
Stunden die treffliche Frau, die warme, herzliche
Freundinn! Wenn wir miteinander waren und die
Rede ſich verlor — Jedes, das weiß ich, hat das
ſeine gedacht: ſie uͤber Wilhelm, ich uͤber So-
phien. Doch etwas eigenes hatte die Frau; und
die Tochter hat es nun auch!“ —
Jezt klingelte die Baronin: „Gertrud,
fuͤhre ſie mich durch die Zimmer, die mein Sohn
nun beziehn wird! — Himmel! da rollt ein Wa-
gen. Wilhelm! Wilhelm!
(Fortfetzung folgt.)

2—— —— — . — — — —f...—.727.— —..—.

IJ d te.

Warum acht ich nicht mehr der Ziegen, die dort
an des Baches
Schüſigem Rand hin klettern und bittere Weiden
benagen?
Warum der Schafe nicht mehr, der ſilberweißen,
die bloͤckend
Sich auf blumigen Auen zerſtreu'n und ſonnigen

Huͤgeln?
„„Aus dem gruͤnen Gebuͤſch' antworte mir, einſamer
Waldgott! 5•

Du ja lauerſt ſo oft an moſiger Hoͤhl⸗, und erblickeſt
Durch Geſtraͤuche die Schaar liebreizender Maͤdchen;
erſchrocken
Flieh'n ſie, aber mit lachendem Ruf, wenn nahet
dein Fußtritt:
 
Annotationen