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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 18-26 (März 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer,

Nè 24.

Samstag,

Des Kaplans Ausmarſch.

Biographiſches Fragment v. Peregrinus Proteus.
Fortſetzung.
Leſend ſaßen nun die Gatten in die Ecken des So-
pha gedruͤckt. Der proſaiſche Schaffner las mit

Unwillen folgende Ergießung des ungluͤcklichen Juͤng-

lingsherzens:
„Schwach bin ich, und mit ſchweren Ketten an
des Erdengefaͤngniſſes Wand geſchmiedet; — ich
liege im Traume, und weiß nichts von Freiheit!
Oder iſt die unendliche Sehnſucht, ſich ganz, ganz
hinzugeben, und unterzugehen in einem liebenden
geliebten Weſen, — iſt das eins mit der Freiheit?
Und der heilige Wunſch, ohne Ende am Buſen rei-
ner Liebe zu ſchlummern oder Seligkeit zu trinken,
iſt das Gefuͤhl der Ewigkeit? Ach, meine Bruſt
moͤchte ſprengen von ſtreitenden Kraͤften, Wuͤnſchen,
Ueberzeugungen! Irdiſches Gluͤck, dich vermag
ich veraͤchtlich von mir zu ſtoßen; — aber du, o
Weib! — ach in dem Zittern der ſchmachtenden
Seele erſtirbt das Wort! — Einſt hatte ich dich,

meine Bertha, — jezt toͤnt mir dein Name aus
fremden Lippen, hohler, ſchauerlicher, als aus
ſchwarzer Grabestiefe. — Da wanke ich in ſtern-

loſer Nacht. Stuͤrme jagen die hohen Wolkenſchich-
ten; empoͤrt heult der Wald! O du verheißene, du
gehoffte Heiterkeit meines Lebens, wo biſt du? Wo
finde ich dich in dieſem furchtbaren Dunkel?“
Siehe, da theilt das unermeßliche Wehen den grau-
ſigen Sterbemantel, der dort oben den Nachthimmel
mit ſeinem Mond und ſeinen Sternen deckt, und
hier unten die lebenloſe Ebene! Furchtbares falbes
Licht ſtroͤmt uͤber die Felſenzaͤcken, uͤber die Graͤber,

+⏑ —

den 23. Mæer2

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1822.

zittert um die Fichten, bricht ſich in der kalten ſte-
henden Thraͤne des Sterbenden. Und ein Reigen-⸗
tanz luſtiger Schleiergeſtalten beginnt um mich her;
und ſie nennen ſich mit weiblichen Namen, und
ſchweben heran auf den ungebeugten Grasſpitzen,
und umkreiſen den Einſamen unter den brauſenden
Harmoͤnien des Sturmes. Da fließt Angſt und
Hoffnung uͤber die bleichen Lippen. Gluͤck meines
Lebens, wo biſt du, wo? — ruft er dem Grabes-
chor, und ſie alle, alle antworten: Ich bins, ich
bins! — Hin eilt er, ſein Gluͤck zu umfaſſen, und
aus dem durchbrochenen Gewoͤlke, aus den blauen
Flocken voll Sonnennebel gießt ſich neue Lebensluſt
in langem Strome durch die geſchwellten Adern. —
Aber die Geſtalten grinzen ihn hoͤhniſch an, und
die Sonnenpforte des Lebens ſchließt ſich am Him-
melsbogen, und der Sturm in den Fichtenwipfeln
ſingt prophetiſch meine Grabesweiſe: Das war
das Weib.“
Sehr unmuthig legte der Schaͤffner das Blatt
weg. „Poſſen — meinte er — dumme Floskeln!
Eine geordnete vernuͤnftige Thaͤtigkeit wird ihn ſchon
kuriren!“
Es iſt aber ein fuͤr allemal zu erinnern, daß bei
dem alten berechnenden Ziffermann Vernunft faſt
jederzeit ſo viel als Proſa bedeutete, und fuͤr ihn
der Gewichtſtein, mit dem er, als vollkommen un-
partheiiſcher Wagmeiſter, die Verhaͤltniſſe des Lebens
nach den Vortheilen, die ſie bringen mochten,‚
abwog.
Die verſtaͤndige Schaffnerin hatte unterdeſſen
aus Seiner Hochwuͤrden, Herrn Hofpredigers Sil-

bermund, Schreiben erſehen, daß die Angelegen-

heit, wegen der Kaplanei, ſchon zu weit gediehen
 
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