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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

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No 1-9 (Januar 1822)
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Charis.

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

SIIII

Ne 8. Samstag,

kaE

Fragmente einer maleriſchen Reiſe

durch verſchiedene Gegenden des ſuͤd⸗
lichen Teutſchlands.

(Fortſetzung der zuleitgegebenen in Nro. 78 des vorigen Jahrgangs.)
Siebenzehnte Stunde von 10 bis 11 Uhr.
Noch ſaß ich am Ufer auf einem breiten Stein und
ſog die Schoͤnheiten meiner Umgebung in vollen
Zuͤgen ein, als es immer bunter und lebhafter um
mich ward. Die Predigten und Meſſen waren be-
endigt, und wem ſeine Zeit es vergoͤnnte, wan-
delte vor das Thor. — Schaͤckernd und lachend
eilen drei huͤbſche Mainzerinnen (im Vertrauen
geſagt, ſie ſind faſt alle huͤbſch) in Begleitung ih-
rer Erkohrenen dem Strande zu. Der leichte Kahn

wird los gemacht; klirrend fliegt die eiſerne Kette,

womit er befeſtiget war, hinein; Mundvorrath wird
zugetragen; unter Scherz und Necken ſich nieder-
geſezt; die Sonnenſchirme aufgeſpannt und kraͤf—
tig faͤllt der Ruderſchlag in den munter ſpielenden
Wogentanz. Jezt erſt, als der Nachen ſchon die
Wellen durchſchnitt, als ein heiteres Liedchen, wie
Nixen⸗Geſang, uͤber das Waſſer ſchwebte, erkannte
ich die Geſellſchaft aus meinem Gaſthofe. Nun
konnte ich mir auch das raͤthſelhafte herzliche Ge-
ſundheitstrinken von geſtern Abend erklaͤren. Ich
folgte dem Kahn noch lange mit den Augen, bis
ein gruͤn bewachſener Ufervorſprung die Schiffen-
den meinem Blicke entzog. — So, dachte ich,
gleitet die Kindheit ſorglos, nichts als Freude ath-
mend, uͤber den klippenvollen Lebensſtrom; aber
was die Gegenwart reicht, fordert oft die Zakunft
mit Wucher zuruͤck.

X

den 26.

⏑ —⏑—

DSISIIII

Januar 1822.

X ⏑& -“--- -.

*

Spielende Knaben, mit dem jaͤhen Ufer ver-
traut, umſprangen mich, und glaubten in den
Himmel geſehen zu haben, als ich ſie auf ihr
freundliches, unbefangenes Bitten, der Reihe nach,
durch mein dreiſchuhiges Perſpektib ſehen ließ.
Ihr guten Seelen! wie lange wird dieſe unbe-
fangene, gluͤckliche heitere Stimmung euch noch er-
freuen? Sieh, Freund, ich kann nicht anders —
es preßt mir immer eine Thraͤne aus, wenn ich
denke, mit welchen Erwartungen der Knabe auf
die Minute lauert, wo er die Welt betreten darf;
wie ſich dann als Juͤngling mancher getaͤuſcht und
betrogen findet, wie er die meiſten und oft die beß-
ten ſeiner Vorſaͤtze in ſchmerzlicher Entſagung
aufgeben, und wenn ihn Bosheit, Hinterliſt, Neid,
Mißgunſt und Verlaͤumdung nicht gaͤnzlich aufge-
rieben haben, bald da bald dorthin gewor-
fen, troz alles innern Straͤubens und Wider-

ſtrebens beſſerer Gefuͤhle knechtiſch und abhaͤngig

von Thorheit, Laune und Leidenſchaft kleingeiſtiger

egoiſtiſcher Vorgeſezten, modern muß. — Freund,

dies ſind Bilder, die faſt jeder Menſch in der gro-
ßen Reihe ſeiner eignen Erfahrungen aufgeſtellt fin-
det. Der Eine bemerkt ſie — der Andere nicht.
Gluͤcklich, wem ſein innerer Blick dieſe ſchmerzliche
Betrachtung verſagt.
Mit inniger herzlicher Freude ſehe ich das mun-
tere Spiel der Kleinen, ſehe den Wetteifer um ſich
wechſelſeitig an Kraft, an Gewandheit zu uͤbertreffen,
und es thut meinem Herzen wohl, mich auf Au-
genblicke wieder der bunten, ſorgloſen Kinderwelt
hinzugeben, in der ich einſt ſo gluͤcklich war. Wie
ſchoͤn lag damals die Welt vor mir! was habe ich
nicht alles von ihr gehofft, mit welchen Gefuͤhlen
 
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