Charis.
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
N 43.
Die Todtenbrau t.
(Schwediſches Volkslied.)
Klein Chriſtine und ihre Mutter legten Gold auf die
Bahr',‚
Sie weinte ihren Braͤutigam aus dem Grab.
Er klopfte an die Thuͤr' mit Fingern zart:
„Steh' auf klein Chriſtine, nimm weg das Band!“
„Mit Niemand hab' ich Beſtellung gemacht,
Und Keinen laſſ' ich herein bei Nacht.“
„Steh' auf, klein Chriſtine, nimm weg das Schloß,
Ich bin's, den du vormals ſo lieb gehabt.“
Der Jungfrau ward's haſtig, wie ſchnell ſie aufſtand,
Wie leicht ſie das Schloß von der Thuͤre nahm.
So ſezte ſie ihn auf den rothen Goldſchrein
Und wuſch ſeine Fuͤße im klareſten Wein.
So legten ſie nieder ſich in ihr Bett,
Sie ſagten ſo viel und ſchliefen nicht mehr.
Und die Hahnen fingen zu kraͤhen an,
Der Todte durft' laͤnger nicht da beſteh'n.
Und Jungfrau ſtand auf, zog die Schuhe an,
Und folgte dem Juͤngling durch langen Wald.
Und als ſie kamen zum Kirchhofthor,
Da verblich ihm ſogleich ſein ſchoͤngelbes Haar.
„O ſieh, ſchoͤne Jungfrau, wie ſteigt der Mond!“ —
Und ploͤtzlich der Juͤngling vor ihr verſchwand.
*) Aus der Sammlung: Swenska Folkwisor. I. S. 29.
Man bemerke, wie mild uund verſöhnend das alte Volks-
lied abſticht gegen die wilde Raſerei und Verzweiflung
der Lenore von Bürger; hier iſt Alles auf den Effekt
und Glanz berechnet und die Bedeutung zerſtört, das
Bolkslied redet aber aus der Tiefe der menſchlichen Seele
einfach und bedeutungsvoll.
⏑ *— ——
Mittwoch, den 29. Mai,
A&
“˖w᷑:˖w“ꝰ-ew- —m
1822.
—— —
Da ſezt' ſie ſich nieder auf ſeine Gruft:
„Und hier will ich ſitzen, bis Gott mich ruft.“
Da hoͤrte ſie reden den Juͤngling ſchoͤn:
„Und höͤr' du, klein Chriſtine, geh' wieder heim.
Bei jeder Thraͤne, die faͤllt auf den Grund,
So wird mir mein Sarg ſo voll von Blut;
Doch gehſt du auf Erden im Herzen froh,
So wird mein Sarg voll von Roſen roth.“
— + 4 —
2—2— —24— — — ..— ——— —— — —. ————
Der Raͤuberhauptmann.
Novelle, von Karl
F o rieSun 8.
Jezt erklaͤrte es ſich, daß Delmont mit der
Nachricht vom Tode ſeines Sohnes getaͤuſcht wor-
den; ſeine Luiſe aber war hinuͤber gegangen. Der
edle van Haren hatte jenen erzogen, und da die
Familie Valcourt von dem Namen des Verfuͤh⸗
rers (wie ſie ihn nannte) nichts hoͤren wollte, gab
er ihm den ſeinigen.
Vater und Sohn ſchwebten noch wie im Traume.
Welche alte Gefuͤhle erwachten in der Seele Ro-
bert's (ſo heißt jasnun Alvaro)! Welche neue
ſtiegen darin auf! — Die Abendſonne neigte ſich;
beide wandelten nach der Hoͤhle zuruͤck. Richard
hegte die frohe Hoffnung, ſeinem Vater Vergebung
und einen beſſern Zuſtand zu erwirken. Konnte er
aber auch den Dorn aus ſeinem Herzen ziehen?
Indeß beſchloſſen ſi ſie, Elviren von der heutigen
Entdeckung noch nichts zu ſagen. —
Kaum waren ſie in der Wohnung angelangt, als
Rober's untergebene ihm neue Gefahren melde-
ten. Zahlreiche Truppen naͤherten ſich, Haſtig er-
griff der Hauptmann Saͤbel, Piſtolen und Dolch.
„Ich begleite dich! rief der Juͤngling. Vielleicht
Eine Geib.
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
N 43.
Die Todtenbrau t.
(Schwediſches Volkslied.)
Klein Chriſtine und ihre Mutter legten Gold auf die
Bahr',‚
Sie weinte ihren Braͤutigam aus dem Grab.
Er klopfte an die Thuͤr' mit Fingern zart:
„Steh' auf klein Chriſtine, nimm weg das Band!“
„Mit Niemand hab' ich Beſtellung gemacht,
Und Keinen laſſ' ich herein bei Nacht.“
„Steh' auf, klein Chriſtine, nimm weg das Schloß,
Ich bin's, den du vormals ſo lieb gehabt.“
Der Jungfrau ward's haſtig, wie ſchnell ſie aufſtand,
Wie leicht ſie das Schloß von der Thuͤre nahm.
So ſezte ſie ihn auf den rothen Goldſchrein
Und wuſch ſeine Fuͤße im klareſten Wein.
So legten ſie nieder ſich in ihr Bett,
Sie ſagten ſo viel und ſchliefen nicht mehr.
Und die Hahnen fingen zu kraͤhen an,
Der Todte durft' laͤnger nicht da beſteh'n.
Und Jungfrau ſtand auf, zog die Schuhe an,
Und folgte dem Juͤngling durch langen Wald.
Und als ſie kamen zum Kirchhofthor,
Da verblich ihm ſogleich ſein ſchoͤngelbes Haar.
„O ſieh, ſchoͤne Jungfrau, wie ſteigt der Mond!“ —
Und ploͤtzlich der Juͤngling vor ihr verſchwand.
*) Aus der Sammlung: Swenska Folkwisor. I. S. 29.
Man bemerke, wie mild uund verſöhnend das alte Volks-
lied abſticht gegen die wilde Raſerei und Verzweiflung
der Lenore von Bürger; hier iſt Alles auf den Effekt
und Glanz berechnet und die Bedeutung zerſtört, das
Bolkslied redet aber aus der Tiefe der menſchlichen Seele
einfach und bedeutungsvoll.
⏑ *— ——
Mittwoch, den 29. Mai,
A&
“˖w᷑:˖w“ꝰ-ew- —m
1822.
—— —
Da ſezt' ſie ſich nieder auf ſeine Gruft:
„Und hier will ich ſitzen, bis Gott mich ruft.“
Da hoͤrte ſie reden den Juͤngling ſchoͤn:
„Und höͤr' du, klein Chriſtine, geh' wieder heim.
Bei jeder Thraͤne, die faͤllt auf den Grund,
So wird mir mein Sarg ſo voll von Blut;
Doch gehſt du auf Erden im Herzen froh,
So wird mein Sarg voll von Roſen roth.“
— + 4 —
2—2— —24— — — ..— ——— —— — —. ————
Der Raͤuberhauptmann.
Novelle, von Karl
F o rieSun 8.
Jezt erklaͤrte es ſich, daß Delmont mit der
Nachricht vom Tode ſeines Sohnes getaͤuſcht wor-
den; ſeine Luiſe aber war hinuͤber gegangen. Der
edle van Haren hatte jenen erzogen, und da die
Familie Valcourt von dem Namen des Verfuͤh⸗
rers (wie ſie ihn nannte) nichts hoͤren wollte, gab
er ihm den ſeinigen.
Vater und Sohn ſchwebten noch wie im Traume.
Welche alte Gefuͤhle erwachten in der Seele Ro-
bert's (ſo heißt jasnun Alvaro)! Welche neue
ſtiegen darin auf! — Die Abendſonne neigte ſich;
beide wandelten nach der Hoͤhle zuruͤck. Richard
hegte die frohe Hoffnung, ſeinem Vater Vergebung
und einen beſſern Zuſtand zu erwirken. Konnte er
aber auch den Dorn aus ſeinem Herzen ziehen?
Indeß beſchloſſen ſi ſie, Elviren von der heutigen
Entdeckung noch nichts zu ſagen. —
Kaum waren ſie in der Wohnung angelangt, als
Rober's untergebene ihm neue Gefahren melde-
ten. Zahlreiche Truppen naͤherten ſich, Haſtig er-
griff der Hauptmann Saͤbel, Piſtolen und Dolch.
„Ich begleite dich! rief der Juͤngling. Vielleicht
Eine Geib.